Alles hat seine Zeit...Sein und Werden

Alles hat seine Zeit, alles auf dieser Welt hat seine ihm gesetzte Frist: Geboren werden hat seine Zeit wie auch das Sterben. Pflanzen hat seine Zeit wie auch das Ausreißen des Gepflanzten. Töten hat seine Zeit wie auch das Heilen. Niederreißen hat seine Zeit wie auch das Aufbauen.
Weinen hat seine Zeit wie auch das Lachen. Klagen hat seine Zeit wie auch das Tanzen. Steine zerstreuen hat seine Zeit wie auch das Sammeln von Steinen. Umarmen hat seine Zeit wie auch das Loslassen. Suchen hat seine Zeit wie auch das Verlieren. Behalten hat seine Zeit wie auch das Wegwerfen.
Zerreißen hat seine Zeit wie auch das Flicken. Schweigen hat seine Zeit wie auch das Reden.
Lieben hat seine Zeit wie auch das Hassen. Krieg hat seine Zeit wie auch der Frieden. (Prediger 3, 1 - 8, die Bibel)

27. Oktober 2014

Das PräPost-Geburts-Paradoxon...

Eine Sache, die mir aufgefallen ist, betrifft das Davor und das Danach bei einer Schwangerschaft. Ich weiß nicht, wer genau die Leidtragenden sind - die Mütter oder die Kinder. Aber es existiert und solange mir kein hochwissenschaftlicher Begriff dafür einfällt, nenne ich es das PräPost-Geburts-Paradoxon.
Was ich damit meine? Ganz einfach, es gibt eine Zeit VOR und eine Zeit NACH der Geburt. Diese Phasen (mhmmmm...dieses Wort wird mich in nächster Zeit noch oft begleiten) sind gekennzeichnet durch unterschiedliche Eigenschaften. Schwangerschaften und auch die Mutterschaft sind im Allgemeinen getränkt von Verhaltensregeln, Vorstellungen, unausgesprochenen Vorschriften, Erwartungen an sich selber und vor allem VON ANDEREN! Bezogen auf das PräPost-Geburts-Parodoxon sind das dann VOR der Geburt folgende, die ich in Soll, Kann und Darf-Erwartungen gliedern werden. Wobei eine Darf-Erwartung eher mit einem Zugeständnis gleichzustellen ist.

Vor der Geburt...

...sollte frau stets überglücklich über den Zustand sein und sich glückselig über den Bauch streicheln.
...sollte frau bestimmte Dinge ihrem Körper und vor allem ihrem Baby unter keinen Umständen antun z.B.: roher Fisch (aber ja nicht zu wenig Omega Fett-Säuren!) ergo Sushi, Salami, Alkohol, Stress, Strahlung und die Hardliner unter uns Plastik, bestimmte Pflegeprodukte, Putzmittel, die nicht total öko sind und eigentlich e nur aus Zitronensaft bestehen, zu viel Süßes, Fettes und alles was sonst noch zu lecker schmeckt, etc., etc., etc....die Liste lässt sich je nach Härtegrad der Übermutter-Schwangeren endlos weiterführen.
...sollte frau möglichst viel Obst, aber besser Gemüse essen, ungefährlichen Sport bis zur Geburt betreiben, Pilates, Yoga und Schwangerschaftsgymnastik und einen Schwangerschaftsvorbereitungskurs besuchen.
...sollte frau in den ersten drei Monaten sich übergebend und ständig müde in Geheimhaltung üben und sich zur Arbeit schleppen, im vierten bis sechsten Monat freudestrahlend und voller Energie mit wunderschön rundem Baby-Bäuchlein die Welt mit einer mütterlich gütig, freudigen Schönheit, die nur eine Schwangere hat, bereichern.
...sollten die Vorstellungen über die neue Mutter-Kind-Dyade der werdenen Mutter möglichst romantisch sein, während man von seiner Umgebung vorzugsweise Aussagen dieser Art hört:"DANN wird AAAAALLES anders; Du wirst für NICHTS mehr Zeit haben; HA! Zweisamkeit und Romantik, was ist das? WAAAAARTE nur bis das Baby da ist!!! (Drohung mit weitaufgerissenen Augen!), etc."
...sollte frau sich über die wichtigten Dinge bereits Gedanken machen: Stillen ja/nein; Stoffwindeln oder Wegwerfwindeln; Gläschennahrung oder Selbstgekochtes; Familienbett/Schlafnest oder eigenes Zimmer; Schieben oder Tragen, usw. Wobei es dabei ja sowieso nur immer EINE wirklich richtige Antwort gibt, um Bindung, Gesundheit und intellektuelle, sowie emotionale Entwicklung zu fördern und um frühkindliche Schädigungen, eine kriminelle Zukunft, Verblödung und Umweltverschmutzung zu verhindern! Um herauszufinden welche der genannten Varianten das jeweils sind, einfach in Baby/Mütter-Foren stöbern - da wird einem, oftmals schon fast militant und teilweise extremistisch, weiter geholfen.
...soll die werdene Mutter geschützt werden, denn sie tut etwas Wunderbares, sie trägt neues Leben in sich!

...kann frau Stillvorbereitung machen, Storchenpartys besuchen und unzählige weise Schwangerschaftsbücher lesen.
...kann frau schon mal das Kinderzimmer einrichten, Pflegeartikel und Kinderkleidung einkaufen gehen.
...kann frau sich überlegen, ob man sich Geschlecht sagen lassen möchte (pro: konkretere Beziehung zum Kind; contra: Überraschungseffekt geht flöten).

Und jetzt kommt das Schönste:


...darf frau zunehmen!
...darf frau eine gewaltigen Wampe und auch sonstige Körperfülle haben und alle finden es toll, der Großteil sogar ehrlich attraktiv und wunderschön.
...darf frau einen ordentlichen Appettit haben und zulangen und erntet dafür höchstens ein "iss nur, du isst ja für 2! Selbst wenn man dies als informierte werdende Mutter dementiert und darüber aufklärt, dass der erhöhte Kalorienbedarf in der Schwangerschaft ein sehr geringer ist, wird einem mit wohlwollendem Blick das Essen gegönnt.
...darf frau fast alles, weil sie wie oben bereits erwähnt, eine fast heilige Aufgabe hat, ein Kind in sich zu tragen.


Um die Sache etwas abzukürzen, komme ich an dieser Stelle zum paradoxen NACHHER. Eine genauere Auflistung wäre mir eben erst danach möglich, doch ich möchte auf die Dinge eingehen, die mir bei Freundinnen und Jungmamas aufgefallen sind und mich auf das Paradoxon aufmerksam gemacht haben.

1) Die Sache mit dem besonderen Schutz der werdenen Mutter und der Heiligkeit ihrer Aufgabe, Leben in sich zu tragen: Ist das Kind einmal da, schreit, stinkt, "sudert" oder aber besitzt die Frechheit zu laut zu spielen und verhält sich für den Anlass bzw. die Umgebung unpassend, gilt keinerlei Schutz mehr für Frau und Kind. Viel eher werden der Mutter vorwurfsvolle und genervte Blicke zugeworfen. Wenn sie etwa mit drei kleinen, quängelnden Kindern einkaufen geht, einen Kinderwagen vor sich herschiebt und gestresst wirkt, ist alle Heiligkeit und Respekt vor ihrer Aufgabe verschwunden und hat sich in ein "selber Schuld!" verwandelt. Verstehen tu ich das nicht - in der Schwangerschaft muss man sich bei der Kindererziehung und -pflege um nichts kümmern. Das Baby ist selbstversorgend, hat es immer schön warm und flauschig, selbstreinigend - Mama kann da nicht viel dazu beitragen - und trotzdem bekommt sie dafür allen Respekt. Nach dem Schlüpfen ist das Häufchen Mensch ganz und gar auf die Fürsorge, Pflege und Erziehungsleistung der Eltern angewiesen - DAS ist die eigentlich Kür, DEM gebührt der eigentliche Respekt!

2) Der liebe Körper: In der Schwangerschaft ist der kugelrunde Körper und der gesteigerte Appetit positiv attribuiert. Es verkörpert Leben, Gesundheit und sogar Schönheit. Hat das Menschlein seine schöne speckige Höhle verlassen, ist der "bewirtende" Körper dem Verfall preis gegeben. Und um dies zu verhindern, sollte Mama am Besten ab Tag 2 nach der Geburt mit ihrem personal trainer den after-baby-body-Masterplan entwickeln. Sollte man nicht zu den Proms und VIPs gehören, sollte man sich aber trotzdem tunlichst schnell im Fitnesscenter oder Pilateskurs einschreiben - schließlich hat man in der Karenz ja dazu genug Zeit, gehen lassen ist nicht! Da hört man dann von jungen Mamis doch wirklich so etwas wie "ich will ja auch weiterhin für meinen Mann attraktiv sein".
Manchmal denke ich mir, dass ich in einer anderen Welt lebe. In einer Welt in dem Attraktivität und Sexappeal an Liebe gekoppelt ist - ich muss zugeben, es ist eine schöne Welt.
Ich bin grundsätzlich eher der Typ dessen Körper schon vor der Geburt eher einem short-after-birth-body geähnelt hat und sowieso so ist, wie er nun mal ist und sich jeglichen eingehämmerten idiotischen Schönheitsidealen widersetzt hat - seit jeher. Gerade deswegen weiß ich und kann mich richtig darin suhlen, wenn mein Mann mich schön nennt. Selbst wenn mir einiges an mir selber nicht gefällt, kann ich ihm getrost glauben, dass er es anders oder halt einfach passend findet. Ich mag meine Welt.

Und zum Essverhalten vor bzw. danach, eine kleine Anektdote. Eine Freundin von mir hat vor wenigen Monaten einen Jungen geboren und stillt diesen voll. SIE hat wirklich erhöhten Kalorienbedarf. Letzens waren wir bei einem gemeinsam Essen - es gab Schnitzel - mhmmmm! Während meine Freundin bereits fertig war und sich schamhaft eingestehen musste, dass sie noch gerne etwas hätte (was man aber ja DANACH nicht mehr tut), lud ich mir eine ordentliche Portion Kartoffelsalat auf, während ich von zwei anderen Personen wohlwollend kommentiert wurde mit "du musst ja immerhin für zwei essen" und mich dann die Dame bei der Schnitzelausgabe sogleich fragte, ob ich denn gerne zwei davon hätte...
Irgendwas stimmt da in unseren Köpfen doch nicht. Aber, während ich mich noch in der glückseligen Zeit davor befinde und diverse Vorzüge genießen darf, packe ich mir doch glatt das größte Schnitzel und als Nachspeise gleich eine extra Portion Kuchen auf meine Teller und freue mich noch ein paar Monate darüber, mich nicht selber ständig aus Angst vor Verurteilung und "jetzt isst die schon wieder, die hat e schon genug auf den Hüften" künstlich zügeln zu müssen und "nein, ist schon genug" zu sagen, wenns eigentlich gar nicht so ist.
 
Fazit: Ich spiele also die Karte aus. Ich bin dick, so richtig, jeder siehts und findets toll. Ich esse gerne und viel, jeder findets witzig - und das alles nur weil ich schwanger bin und ich somit noch ein wenig Schonzeit vor dem DANACH habe. Paradox!

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