Alles hat seine Zeit...Sein und Werden

Alles hat seine Zeit, alles auf dieser Welt hat seine ihm gesetzte Frist: Geboren werden hat seine Zeit wie auch das Sterben. Pflanzen hat seine Zeit wie auch das Ausreißen des Gepflanzten. Töten hat seine Zeit wie auch das Heilen. Niederreißen hat seine Zeit wie auch das Aufbauen.
Weinen hat seine Zeit wie auch das Lachen. Klagen hat seine Zeit wie auch das Tanzen. Steine zerstreuen hat seine Zeit wie auch das Sammeln von Steinen. Umarmen hat seine Zeit wie auch das Loslassen. Suchen hat seine Zeit wie auch das Verlieren. Behalten hat seine Zeit wie auch das Wegwerfen.
Zerreißen hat seine Zeit wie auch das Flicken. Schweigen hat seine Zeit wie auch das Reden.
Lieben hat seine Zeit wie auch das Hassen. Krieg hat seine Zeit wie auch der Frieden. (Prediger 3, 1 - 8, die Bibel)

20. März 2015

Vom zweiten Monat und von den zwei Polen...

Die Sonne verfinstert sich...

Nein, keine Sorge - nur im astronomischen, total wörtlichen Sinne. Sollte nur das Interesse der LeserInnen wecken. Ich sitze in meinem Ohrensessel neben dem Stubenwagen meines von den Strapazen der letzten Nacht müden Sprösslings und harre dem vierten Versuch ihn zu seinem Vormittagsschläfchen zu bewegen, während ich das Spektakel der partiellen Sonnenfinsternis per livestream mitverfolge. Denn als übervorsichtige Mama traue ich mich nicht mein Baby draußen bei einem Spaziergang der Gefahr auszusetzen, einen versehentlichen Blick in die Sonne zu werfen und sich dabei grauslige Verletzungen der Netzhaut zu zuziehen...nein, nein, nein...Meine Oma muss mit Besuch warten bis nächsten 18 Jahre bis zur nächsten partiellen Sonnenfinsternis abzulaufen beginnen. Spannend übrigens...die Vorstellung, dass ich sowas das nächste mal mitverfolgen werde, wenn der kleine Milchsauger neben mir seine Volljährigkeit erreicht hat. Wie wird er die wohl mitverfolgen? Als interessierter Intellektueller mit Schutzbrille, in einer Sternwarte und top informiert? Oder eher auf irgendeinem Hügel mit ein paar Kumpels, ein paar Bierchen und OHNE Schutzbrille? Alles Spekulationen, ich weiß, aber so eine Mischung von beiden das wärs - intelligent, sozial kompetent und fröhlich - man wird sich doch noch was wünschen dürfen...

Na gut, wir (ja, meine Selbstständigkeit und Identität wurde durch ein kollektives WIR ausgetauscht) haben das zweite Monat hinter uns. Und ich schwebe irgendwo zwischen Mutter-Frust und Mutter-Glück. Und das schwankt fast minütlich. Im einen Moment betrachte ich meinen Engel und es rollen mir die Freudentränen über die Wange, im nächsten Moment denke ich mir "guten Tag, guten Tag, ich will mein Leben zurück". Und das schlimmste ist, ich kann es nicht mehr auf meine Hormone schieben - es liegt tatsächlich an den Umständen.
Laut Lehrbuch ist der Peak an Schreistunden in der 6. Woche auf seinem Höhepunkt und sinkt dann wieder. Genau so war es. Sohnemann weint pro Tag höchstens eineinhalb, zwei Stunden über den Tag verteilt und fast nur wenn ihn seine Verdauung quält. Das tut sie jedoch regelmäßig und am ausgiebigsten vorm Schlafengehen und um halb vier Uhr morgens. Neben den drei bis vier Stillmahlzeiten sind die nächtlichen Unterbrechungen am Schlimmsten...die gehen mir am meisten auf die Nieren. Oft fürchte ich mich vor der Nacht - in denen ich so wenig zur Ruhe komme, während mein Mann friedlich schnarchend vor sich hin schlummert. Das macht mich oft wahnsinnig und frustriert. Das Gute daran, er hat, wenn ich ihn wecke und darum bitte, die Ruhe und die Nerven, um den Kleinen in seinen wildesten Schreiphasen nachts zu beruhigen und in den Schlaf zu wiegen. Dann, wenn ich meine Nerven schon zum Recyclinghof gebracht habe. Es ist toll - und es nervt, tierisch...Mein Mann, der Retter in der Not. Er verbringt nur wenige Stunden am Tag mit dem Kleinen und schafft es dem Kleinen Ruhe und Ausgeglichenheit zu geben...Sauerei sowas! Großartig sowas!
Ja, man merkt schon - die zwei Pole, von denen ich sprach, sind allegegenwärtig: Mutter-Frust vs Mutter-Glück; Papa-Vorteil vs. Papa-Neid;
Diese dämlichen Pole des Paradoxen tauchen auch in meiner Tagesbeschäftigung auf. Ich tue kaum etwas, also etwas Produktives im Haushalt oder anderswo. Und trotzdem bin ich ständig beschäftigt und eingenommen von meinem Baby. Stillen - Wickeln - Spielen - Herumtragen - in den Schlaf wiegen - vielleicht selbst ein wenig Schlaf nachholen oder mal die Wäsche sortieren - Stillen - Wickeln - Spielen...all day long. Und am Ende des Tages, fühle ich mich in Anbetracht der Staubschicht auf den Möbeln, den Krümeln auf dem Boden und den Wäschekörben so als hätte ich rein gar nichts gemacht. Dafür ist es erstaunlich, wieviel man in eineinhalb Stunden abends schafft, wenn Papa's Baby-Schicht anfängt.
Doch allmählich kommt etwas Regelmäßigkeit in unseren Alltag und Fröschlein liegt auch gern mal zappelnd in seinem Stubenwagen unter dem Mobile oder unter dem Spielbogen und gluckst vor sich hin. Das gibt mir ein wenig Luft und ich kann ein paar Kleinigkeiten daneben erledigen. Ab und zu, in einem guten Moment akzeptiert er auch das Tragetuch und ich kann etwas einfaches kochen. Bevor man ein Kind hat, glaubt man nicht, dass man SO ETWAS als ein Stück "Ausgleich" empfindet.
Mein momentanes Tageshighlight ist, wenn mein Mann nach Hause kommt. Er bringt etwas Ausgleich, nimmt voller frischen Elan und Freude den kleinen Mann und ich kann mich auskotzen oder in aller Ruhe duschen gehen. Fehlen diese paar Stunden und die Unterstützung nachts, bin ich quasi ein ängstliches Häufchen Elend. Tja, das was die taffe (ja, das darf man auch so schreiben, habs gegoogelt) Miriam zu einem ängstlichen Häufchen Elend macht, ist ein keine 60 cm großer Mini-Mensch mit zuckersüßem zahnlosen Lächeln und Haaren auf den Ohren!
Heute Nacht ist Premiere - mein Mann ist das erste Mal seit unser Baby da ist von berufswegen über Nacht weg. Und mir graut davor...Und es folgen in den nächsten Monaten noch einige solcher Nächte allein. Aber mir bleibt nichts anderes über als das Kind, im wahrsten Sinne des Wortes, zu schaukeln.
Ein weiterer Meilenstein in zwei Monaten Mama-Glücksfrust sind die ersten guten Vorsätze die nicht mal mehr flöten, sondern eher Tuba spielen gehen. Als moderne, bindungsorientierte Mama möchte man ja alles was Bindung fördert und möglichst natürlich ist in seinen Erziehungs- und Pflegealltag einbauen. Die Liste ist endlos, was man dazu nicht alles am besten machen könnte. Und die Glaubensgemeinschaften sind da strikt...da gibt es die Anhänger, die das Wagerl-Vorsichherschieben, das im eigenen Zimmer Schlafen lassen, das Flascherl Geben für mittelschwere Kindesmisshandlung halten. Dazu gibt es diverse Freiheiten - Windelfrei, Schnullerfrei...so natürlich und so eng an Mama wie möglich soll das Kind aufwachsen. Und schwebe da irgendwo dazwischen - ich wäre gern Tragemama, aber mein Kleiner mag die Tragetuch oft nicht, zumindest nicht wenn er wach ist. Das Wagerl mag er ebenso wenig. Nur meinen gewonnenen Retro-Super Schlitten, der nichts kann außer hübsch aussehen und wie ein Einkaufswagen bei Aldi klappern, den mag er. Stillen tu' ich, bei uns schlafen tut er auch. 8 von 10 Punkten auf der Hippie-back-to-the-roots-Mama-Skala. Schnullerfrei - das war mein Vorsatz...anfangs hatte ich gar keine zu Hause. Aber irgendwie rutschte doch einer in unser Baby-Equipment und trotz einigen Wochen ohne Schnuller und Dauernuckeln an Mama's Busen oder Finger, entschied ich mich, doch wieder einmal anziehen zu wollen bzw. meinen Finger schrumpelfrei haben zu wollen und gab ihn das blöde Saugding. Diese üble Kunststoffverarsche...tja. Nachdem ich mir eingestehen musste, dass ich Schnullerfrei nur mir selber zum Ziel machte, um mir selber etwas zu beweisen, ließ ich es sein und gönnte dem von heraufrutschendem Magensaft gequälten Kind etwas Nuckeln. Aber mir tat es schon weh - Punkteabzug zur Super-Hippie-back-to-the-roots-bindungsorientierten-Mama...mal sehen wie viele Punkte ich noch abgezogen bekomme, um endlich völlig cool und mit besten Gewissen singen zu können "I did it my way!"
Vielleicht nach dem dritten Monat...da soll ja alles anders werden...soll ja...


5. März 2015

Vom ersten Monat und vom ersten Menschen...

Ein Monat.
Genauer gesagt sind inzwischen bereits fast 6 Wochen vergangen seit unser Fröschlein das Licht der Welt erblickt hat.
Ich hatte ja alsbald bemerkt, dass die Ankunft eines solchen Mini-Menschen ALLES verändern würde, jedoch war mir das Ausmaß dieses ALLES nicht wirklich bewusst. Jetzt dämmert es mir langsam.
Ich werde oft gefragt, wie es mir geht. Meist in Situationen, wo Fröschlein selig schlummert und jeden Engel in den Schatten stellt. Der Gesichtsausdruck der Fragenden suggeriert dabei meist eine zu gebende Antwort im Stile von: "Müde, aber glücklich!" Da fällt mir ein, dass ich schon des öfteren darauf angesprochen wurde, ich sehe müde aus...dabei war ich es gar nicht - tja. Neuerdings bin ich müde, nicht wenn ich unter Leute gehe - das gibt mir (meistens) einen Energieschub, aber ansonsten. Schlaf hat eine ganz neue Qualität - nämlich keine. Alle eineinhalb bis zwei Stunden eine dreiviertel Stunde bis ein einhalb Stunden damit beschäftigt zu sein, zu stillen und anschließend das vom Bäucherchen-das-nicht-raus-will-aber-muss aufgewachte Kind wieder zu beruhigen, ist der körperlichen Erholung nicht zuträglich.
Ja und dann sind da noch die vielen Stunden des Schreiens, weil der Kleine nicht Herr seiner Gase ist. Die machen sich's nämlich sehr gemütlich im winzigen Verdauungstrakt des Zwergs und machen einen auf Flaschengeist, der nicht raus will. Und wenn dann so ein Biest raus katapultiert wird, egal an welchem Ende, dann jubeln die "müden, aber glücklichen" Eltern, bevor der nächste Schmerzschwall über das Menschlein einbricht. Was soll das überhaupt? Müssen e schon geboren werden, müssen sich dann bemerkbar machen, wenn ihnen was fehlt und werden dann sofort erzogen mit blöden Floskeln wie "du verwöhnst ihn" und "wirst schon sehen, was du davon hast, wennst..." oder "den bekommst du nie mehr los, wennst..." ihn immer herumträgst, in eurem Bett schlafen lässt, nicht mal in seinen Stubenwagen oder in den Kinderwagen legst. Aber ich will ihn doch gar nicht los bekommen, ich hab ihn doch erst bekommen. Und ich bin der Überzeugung, dass man den Kleinen die kurze Zeit des Kuschelns, der vollkommenen Nähe, der verschwenderischen Liebe, Fürsorge, Zärtlichkeit und Küsse als Start in ihr Leben geben und gönnen soll. Das "psssssst" und "NEIN!" und "jetzt nicht" lernen sie noch bald genug. Jetzt ist die Zeit des Verwöhnens, denn die Zwerge stellen keine Ansprüche - sie benötigen, wie die Luft zum Atmen, unsere Nähe und Fürsorge. Da ist nichts Unverschämtes, nichts Forderndes, nicht Manipulatives - da ist nur Bedürfnis.
Und deswegen stille ich ihn - wann er Hunger hat, deswegen lasse ich ihn nicht schreien, deswegen schläft er in oder neben unserem Bett, deswegen trage ich ihn herum und benütze lieber eine Trage als einen Kinderwagen. Und es ist interessant, wie all diese Dinge zum Streitthema werden können zwischen Menschen mit unterschiedlichen pädagogischen Vorstellungen. Man merkt sehr schnell als Jungmama, dass es sich beinahe schon um Glaubensbekenntnisse handelt, wenn man über die verschiedenen Themen der Baby- und Kleinkinderziehung spricht. Und Mütter sind in dieser Hinsicht echte Extremisten in ihren Glaubensüberzeugungen. Und da nehme ich mich nicht aus ;)
Was ich sagen möchte - "Müde, aber glücklich" trifft es nicht. Das ist nicht, wie es mir geht. Ich bin...erschöpft, müde, verunsichert, unter Druck, ständig in Alarmbereitschaft, zerzaust, vollgekotzt und ausgenuckelt. Ich bin... über alle Maßen beschenkt; bis über beide Ohren verliebt; ständig am Kuscheln und Küssen; voll mit tollen Glückshormonen; glücklich darüber, dass ich durch das Stillen ein Freibrief für einen Teil meines Schokokonsums habe; jetzt für zwei Menschen auf diesem Planeten der wichtigste Mensch auf Erden;
Ich bin...Mama halt.
Und das fühlte sich im ersten Monat erst einmal an, als wäre ich der erste Mensch. Ich musste alles von Grund auf neu lernen und entdecken - einhändig, für zwei und unter Zeitdruck. Das galt für alles. Ob es die Organisation meiner Morgentoilette oder ein Besuch bei meiner Schwester war. Alles wurde zu einer riesigen Hürde, die ich erste lernen musste zu bewältigen. Ich lerne mich jetzt straff zu organisieren, während Planung durch die Unregelmäßigkeit des Rhythmus des Kleinen fast unmöglich ist. Ein Paradox von vielen - Organisation ist nötig, während Planung nicht möglich ist.

Und an dieser Stelle und auch schon früher hätte ich folgenden Satz einfließen lassen müssen, um Kritikern vorzugreifen "Ja, ich weiß, mit mehreren Kindern ist das noch viel krasser; Ja, und ich weiß nicht, was ich täte, wenn ich mehrere hätte - ich hab jetzt mal eines und bei dem mach ich es so, wie ich mir das vorstelle, okay?".

Ich bewundere alle Mehrkinder - Mamas und vor allem alleinerziehende Mütter - ihr seid Heldinnen!
Ich habe eines, ein völlig gesundes, fröhlich frisches, kleines Menschlein - und fühle mich wie der erste Mensch mit ihm. Was dagegen spricht, dass ich der erste Mensch bin, sind die Erwartungen und der Druck von außen und an mich selber. Den gäbs nicht, wäre ich die erste, die das erleben würde. Aber so haben sich bereits viele, viele Menschen Gedanken über Sollen und Wollen und Müssen in Sachen Baby gemacht und dieses Sollen-Wollen-Müssen ist frei zugänglich in diversen Büchern, im Internet und Mitmenschen. Und die machen Druck.
Bei uns fing es an mit dem Gewicht. Während wir als Erwachsene immer damit kämpfen, in ein Schönheitsschema F zu passen, indem wir ständig Gewicht verlieren wollen, gibt es ein Schema F für Babys, welches Gewicht sie wann erreichen sollen. Unser Kleiner fiel da nicht rein, nahm zu wenig zu. Die Empfehlung war sogleich ihm extra Nahrung zu geben - also aus Angst, dass er zu wenig bekommt, Flascherl rein. Von der anderen Seite, der stillenden, heißts "Nein, kein Flascherl!" Saugverwirrung, Anfang vom Abstillen...und ich heulend, verunsichert und mit einem schreienden Kind irgendwo dazwischen.
Nachdem die Gramm-Reiterei für ein, zwei Wochen zum Lebensthema wurde, beschloss ich, wieder auf 0 zu schalten und meinem Gefühl zu trauen und es einfach so zu machen, wie ich es mir denke. Und siehe da - es funktionierte am besten.
Vielleicht wäre es sogar besser der erste Mensch zu sein, dann müsste man nicht von den Vorerfahrungen und Ratschlägen und Schemen "profitieren".
Aber so ist das halt - das erste Monat. Da groovt man sich aufeinander ein, da lernt man innerhalb kürzester Zeit sich selber und einen neuen, nie da gewesenen Menschen kennen und lieben, da darf man da - sich fühlen wie der erste Mensch.
Und es hat auch seine guten Seiten dieses Gefühl. Die Intensität der Wahrnehmung steigt mit dem Erleben von vielen "zum-ersten-Malen".

Zum ersten Mal Mama.