Alles hat seine Zeit...Sein und Werden

Alles hat seine Zeit, alles auf dieser Welt hat seine ihm gesetzte Frist: Geboren werden hat seine Zeit wie auch das Sterben. Pflanzen hat seine Zeit wie auch das Ausreißen des Gepflanzten. Töten hat seine Zeit wie auch das Heilen. Niederreißen hat seine Zeit wie auch das Aufbauen.
Weinen hat seine Zeit wie auch das Lachen. Klagen hat seine Zeit wie auch das Tanzen. Steine zerstreuen hat seine Zeit wie auch das Sammeln von Steinen. Umarmen hat seine Zeit wie auch das Loslassen. Suchen hat seine Zeit wie auch das Verlieren. Behalten hat seine Zeit wie auch das Wegwerfen.
Zerreißen hat seine Zeit wie auch das Flicken. Schweigen hat seine Zeit wie auch das Reden.
Lieben hat seine Zeit wie auch das Hassen. Krieg hat seine Zeit wie auch der Frieden. (Prediger 3, 1 - 8, die Bibel)

17. November 2014

Vom Lambada-Tanzen und Bäumchen-Schütteln...

...oder wie ein Geburtsvorbereitungskurs abläuft

Da saßen wir nun, mein Mann und ich, ein ganzes Wochenende, auf zwei Matten am Boden. Mit uns sieben andere Co-schwangere Paare aus dem Grenzgebiet Deutschland/Österreich. Und die Expertin - eine unglaublich, natürlich hübsche midfünfzig-Jährige mit kompetent, weiser Ausstrahlung...so wie das bei Hebammen halt so sein muss.
Ich muss zugeben, ich war jetzt nicht Feuer und Flamme für dieses Wochenende, ich/wir begegneten diesem eher mit Respekt, weiß man doch, dass so eine Geburt keine allzu feine, nach Veilchen duftende und nach Vivaldi klingende Sache ist. Da kann man nix schön reden, auch wenn man von "schönen Geburten" spricht oder spektakuläre, wie verstörende Gebärpraktiken wie das Hypno- oder Orgasmic-Birthing kursieren. Das ist so als würde man bei einem Absturz eines Flugzeugs sagen: "aber es war doch in einer schönen Gegend mit wahnsinns Aussicht und es iat ja auch schnell gegangen". Da spricht auch keiner von "schönem Absturz" - das gibt es auch (im besten Fall nur) Verletzte, Traumatisierte, Angst.
Jaja, ist schon klar, natürlich, die Geburt hat einen Sinn - am Ende bekomme ich das wohl unglaublichste Wiedergutmachtungsgeschenk - mein Baby - und ich kann die Vorfreude über diesen Moment gar nicht ausdrücken mein Baby kennen zu lernen, es zu herzen und zu küssen. Das wird und da werden mir auch sehr wenig widersprechen, einfach unglaublich schön. Gott sei es so sehr gedankt, dass der Körper ein Drogenlabor mit einem großartigen Dealernetzwerk hat!
Aber es ist wie es ist - ein zu kleiner Ausgang für ein zu großes Baby - und das MUSS weh tun, höllisch weh. Für Frauen, die noch nicht (vaginal...ja, wääääh) geboren haben, nicht nachzuempfinden - so auch für mich noch nicht. Mein Frauenarzt sagte neulich zu uns (männlich, wohl gemerkt!), es sei die stärkste Grenzerfahrung, die man als LebendE macht...alles andere (=Sterben) lasse sich schwer nachweisen. Tja, ob das beruhigend, bestärkend, whatever ist? Nope, nicht wirklich. Genau wie die Erkenntnis, die uns unsere Hebamme nahe bringen wollte, dass der weibliche Körper mit allem Nötigen ausgestattet wäre. Ist ja gut und schön, aber trotzdem muss mein Baby DA raus und WARUM um Himmels Willen MÜSSEN NUR wir Frauen das durchdrücken (haha)?
Ist schon klar: "frau bekommt ja soviel dafür zurück"..."frau hat dafür die stärkste Bindung zu dem Knirps"..."Männer würden das nicht überleben"...etc. Da schwirren sehr viele Phrasen herum, um einem eine brutale, blutige, eklige Sache schön zu reden.
Aus Höllenschmerz wird dann auf einmal der "Werdeschmerz". Eine der teilnehmenden erstgebärenden Frauen hat uns erzählt, wie eine Freundin das Gefühl des Gebärens beschrieben hat. Aufpassen, ich muss das nun etwas umschreiben: Es sei wie wenn man einen Ziegelstein in Querlage durch den Körper und anschließend durch den Enddarm und dem Anus befördern müsste. Und das halt so in der Dauer zwischen zehn und 26 Stunden. Aber hey, es ist ein Werdeschmerz.
Da muss auch jeder seine eigene Beschwichtigung finden, um sich auf diesen Wahnsinn einzulassen. Meine ist: die Geburt sind nur einige Stunden deines Lebens voller Schmerz, es geht vorbei, es gibt Drogen - unsre körpereigenen meine ich. Und als Belohnung bekomm' ich neben Dammnaht, schwachem Beckenboden, Inkontinenz und dem Aussehen als wäre bei einem alten Luftballon langsam die Luft ausgegangen, MEIN BABY, meinen Kleinen - ein Wunder, dass es nur deshalb gibt, weil ein bisschen was von meinem Mann und ein bisschen ich zusammengekommen sind. Unglaublich! Und bei dem Gedanken an unser kleines Fröschlein leisten die körpereigenen Drogen sofort wieder Höchstleistungen. Ich bin verliebt! In jemanden, den ich nicht kenne und der mir näher als irgendjemand anderer ist.
Und genau das - das Eine halbwegs traumafrei zu erleben und das Andere zu genießen - das haben wir in zwei Tagen Geburtsvorbereitungskurs gelernt.
Angefangen hat das Ganze mit der Frage an die Männer, warum sie hier seien und ob sie freiwillig da sind. Na hör'n sie mal - wenn er schon keine Geburtsschmerzen und das Schlachtfeld Frauenkörper nach der Geburt am eigenen Leib erleben muss, muss er zumindest durch einen ziemlich peinlichen Geburtsvorbereitungskurs und zumindest alle Ekligkeiten, Obszönitäten und Frauengeheimnisse mitbekommen! Wobei ich mir dabei vielleicht sogar öfter um meinen Mann Sorgen gemacht habe, wie er selber um sich, wenn es da um Schleim, Dämmen und Ausflüssen geht - und dabei handelt es sich nicht um Lawinen- und Wildbachverbauungs-Ausdrücken.
Doch er war tapfer. Gelegentliche angstverzerrte oder angewiderte Blicke von ihm zu mir oder hilfesuchend zum Nebenmann taten seinem Engagement extrem peinliche Gebärpositionen in der Gruppe mit mir zu üben, keinen Abbruch. Und während er das "Bäumchen schüttelte", indem er in Seitenlage meinen überdimensionalen Schwangeren-Körper sanft rüttelte (Massagetechnik) und mit mir unter Verzweiflungs-/Belustigungstränen lachend "Lambada tanzte" und er dabei hinter mir gebeugt, hüftenschwingend meine Lendenwirbel massierte, während ich vor ihm an der Wand lehnte und gemeinsam mit ihm eine fiktive Wehe veratmete, liebte ich ihn mehr denn je. Was für ein Mann! Was bringt mir ein Mann der mich auf Händen trägt - oh, toll, Muskeln. Der's im Bett bringt oder mich mit teurem Schmuck überhäuft, wenn er nicht, wenn's drauf ankommt auch mal das Bäumchen schüttelt, schreckliche Dinge sehen und hören muss, die der weibliche Körper zu Stande bringt und trotzdem aus vollem Herzen und mit all seiner Liebe und Hingabe jeden Tag JA zu mir sagt.
Von der Intensität her baute sich der Kurs an Schrecklichkeiten langsam auf. Was gut war - man kann auch nicht von 0 auf 100 Hecheln, Stöhnen und sich in der Gruppe in Positionen begeben, die man höchstens aus einem anderen Setting kennt. Anfangs wurden der Weg des Babys von seinem paradiesischem Zuhause in der Gebärmutter in die kalte Hölle Welt beschrieben. Anhand eines Plastik- und eines Stoffbeckens, sowie eines knautschbaren Babypüppchens in Originalgröße. Noch viel interessanter waren die coolen anderen Utensilien, wie eine sackähnlich, zusammenziehbare Gebärmutter aus Stoff, einer superulkigen Stoff-Plazenta plus Nabelschnur, die sich durch einen Stecker an das Knautschpüppchen anschließen ließ und als Höhepunkt einen mit Gummibändern zu befestigenden Beckenboden mit allem drum und dran. Toll. Was die so haben. Ob es das auch in Plüsch gibt? So als Spielzeug?
Thematisch hantelten wir uns den drei Geburtsphasen entlang: 1. Die mit einer klassischen (zuuuu langen, aber nicht ganz so angenehmen) Overtüre vergleichbaren "Eröffnungsphase". 2. Die "Übergangsphase", deren genauen Namen ich vergessen habe, weil nur gesagt wurde, dass sie halt sauuuuuu wehhhh tut - den Rest hab ich dann vergessen. Und als fulminantes Ende die 3. Phase mit dem klingenden Namen "Austreibungsphase". Und für diese Phasen lernten wir dann eben verschiedene Atemtechniken und mögliche Positionen, die aus der Schmerz-Hölle evt. nur den Vorhof davon machen könnten.
Was dieser Hebamme noch zu Gute zu halten ist: Sie machte die wirklich peinlichen Dinge selber vor. Sie stöhnte, hechelte und demonstrierte uns Wehen. Das war nett, wirklich!
Und wie ich mich nach diesem intensiven Erlebnis fühle? Ich muss sagen - vorbereitet. Nicht mehr ganz so hilflos. Ich weiß dann zumindest, wir hätten da doch mal was gehört. Und ich weiß, diese 14 Personen müssen innerhalb der nächsten drei Monate auch alle da durch. Das beruhigt irgendwie. Ich bin froh um diese Erfahrung. Manchmal braucht man einfach total verstörende, anwidernde, herausfordernde, eklige Erfahrungen, um zu wachsen - so ähnlich ist es halt dann auch eben mit dem Gebären - wahrscheinlich...

11. November 2014

Vom Schlüssel und Löffel Abgeben...

Wieso das Abgeben der beiden Gegenstände "Schlüssel" und "Löffel" und dessen Bedeutung im übertragenen Sinne in einem Zusammenhang stehen.


Heute ist Tag 2 meiner völligen Freistellung von meinen beiden Jobs aufgrund des Mutterschutzes (+Urlaub). Tag 1 war kein guter. So sollte sich auch gleich heute was ändern und der erste Schritt um ein Gefühl von "Vergammlung" zu vermeiden, war mich sogleich gegen Jogginghose und Schlabberpulli zu entscheiden und stattdessen morgens zumindest einkaufstaugliche Kleidung ohne out-of-bed-Beigeschmack anzuziehen. Klingt blöd, ist aber wirksam!

Ist es der Herbst und seine melancholisch, traurige Schönheit - ich werde nachdenklich, meine Posts auch. So kreisten meine Gedanken aus gegebenen Anlass (Anmerkung an mich selbst: mir sind die Anlässe immer gegeben, deswegen schreibe ich ja auch Posts darüber...) um zwei Umstände, die Lebensbeginn und dessen Ende in Verbindung bringen.

Es waren zwei Situationen, die so plötzlich ganz eng beieinander lagen. Zum Einen musste ich aufgrund meines Austretens aus der Arbeit zum zweiten Mal meinen Schlüssel abgeben. Was bedeutet: kein Zugang mehr = Verantwortung weiter gegeben = keine Verantwortung mehr über diesen Bereich. Das mit den Schlüsseln ist sowieso so eine Sache. Sie bedeuten Exklusivität, den exklusiven Zugang zu einem dir anvertrauten Bereich. Schlüssel bedeuten so betrachtet fast ein bisschen sowas wie Status und Macht. Habt ihr schon bemerkt, dass besonders wichtige, in verschiedenen Verantwortungen stehende Menschen, besonders viele Schlüssel haben? Tja, mein Schlüsselbund wird gerade immer magerer, so dass sich das daran befestigte Schlüsselband zum schnellen Finden fast nicht mehr auszahlt...naja, vielleicht zahlt er sich gerade durch seine magere Bestückung aus. Bezeichnend sind auch die verbleibenden Schlüssel: Haustüre, Rad, Auto. Das war's. Das sind also nun meine neuen Aufgabengebiete.
Interessanterweise ist ein Neuer dazu gekommen (yeahh!). Ich habe mit einigen Freunden einen Verein gegründet mit dem Namen "Weidenkorb - ein Verein zur Förderung und Stärkung einer positiven Eltern-Kind-Bindung", der sich damit auseinandersetzen möchte, jungen Eltern mit verschiedensten Angeboten unter die Arme zu greifen. Der Verein befindet sich noch in den Windeln (wie passend), doch wird ein nächstes Projekt sein, eine Kleiderkammer für die nachhaltige Verwendung von Kinderkleidung, Spielzeug und Babybedarf einzurichten. Dafür steht uns ein leerer Raum zu Verfügung und dazu hab ich gerade diese Woche einen Schlüssel bekommen. Ich fasse zusammen, meine Aufgabenbereiche sind nun: Haus, Rad, Auto, Babysachen-Kleiderkammer. Wie passend. Das ist die eine Geschichte zum Thema "Schlüssel abgeben".

Die andere ist die über das "Löffel abgeben". Die Redewendung kommt von dem alten Usus in ärmeren oder bäuerlichen Gesellschaften, dass ein jeder seinen eigenen Löffel für das Essen, welches in einem Topf mitten auf dem Tisch serviert wurde, hatte. Nur diesen benutzte er und legte ihn nach dem Essen an einen eigens dafür vorgesehenen Platz. Der persönliche Löffel bedeutete: persönlicher Zugang zu Essen = LEBENswichtig ergo Löffel abgeben (freiwillig oder unfreiwillig) = Sterben.
An dieser Stelle lässt sich schon feststellen, dass der Schlüssel und der Löffel doch irgendwie was gemeinsam haben...nein, so dramatisch sehe ich das auch nicht, ich sterbe jetzt nicht, weil ich meine Schlüssel abgeben muss...
Aber das Sterben, das hat etwas mit dem Abgeben zu tun. Das Abgeben von Verantwortung, das Abgeben von seinen vermeintlichen Rechten, Abgeben von Lebenszeit, Abgeben von Besitz und das Loslassen der eigenen Kraft und Stärke, sowie der Familie.
Dieses Wochenende wohnte ich einem sehr bewegenden Begräbnis eines lieben, zeitlebens sehr aktiven Menschens bei, der aufgrund eines heimtückischen Krebses in kürzester Zeit aus dem Leben gerissen wurde. Im Vorfeld machte sein Sohn eine Bemerkung, die mich zum Nachdenken brachte und mir bewusst machte, wie eng Geboren-Werden und Sterben doch beieinander liegen. Er sagte: "Ab der Geburt laufen die Uhren rückwärts". Das hat was Wahres. Es mag uns auf den ersten Blick etwas verstören, ist doch so ein Neugeborenes, schreiendes, kleines Bündel Mensch Ausdruck von Leben, Neubeginn und Hoffnung. Es hat aber so gar nichts Verstörendes, weil es einfach so ist. Wir werden geboren, gepflegt, sind zu Beginn von der Liebe und Pflege unserer Eltern angewiesen, wir wachsen, wir bekommen Verantwortung, wir gewinnen an Kraft und setzen diese für uns selber und für andere ein, wir nennen Dinge "unser" und "mein", wir kämpfen für unsere Rechte und unseren Besitz - und dann - irgendwann - keiner weiß, wann und das ist gut so, verläuft die Lebens-Kurve wieder nach unten. Verantwortungen werden abgegeben, die Kraft lässt nach, wir stellen Rechte und Besitz in Frage, wir müssen Loslassen bis wir wiederum auf die Liebe und Pflege unserer Lieben angewiesen sind...und dann? Also für mich endet mein Leben, so wie begonnen hat: aus Gottes Armen in Gottes Arme. Und DESWEGEN ist dieses Rückwärtslaufen, welches in Wirklichkeit keines ist, da die Uhr ihre Kreise zieht und ihren Weg immerzu wiederholt, ist diese Kurve keine Auf- und Abwärtsbewegung, sondern Symmetrie. Und diese Zyklen des Lebens, die sich im Leben unserer Lieben aus den vorherigen Generationen und der Generationen nach uns zusammensetzen, ergeben eine Zierleiste, ergeben Puls, ergeben Lebendigkeit.

So ist es gut und richtig, dass Geboren-Werden und Sterben so nahe beieinander liegen.
Was zählt ist, was ich dazwischen mache, zu wem ich mich halte, an was ich glaube, wofür ich kämpfe und worauf ich mich am Ende berufe...und in wessen Hände ich mich am Ende begebe. Kann ich mich dann fallen lassen und sind es liebende und auffangende Hände?

Alles hat seine Zeit

Alles hat seine Zeit, alles auf dieser Welt hat seine ihm gesetzte Frist:
Geboren werden hat seine Zeit wie auch das Sterben. Pflanzen hat seine Zeit wie auch das Ausreißen des Gepflanzten.
Töten hat seine Zeit wie auch das Heilen. Niederreißen hat seine Zeit wie auch das Aufbauen.
Weinen hat seine Zeit wie auch das Lachen. Klagen hat seine Zeit wie auch das Tanzen.
Steine zerstreuen hat seine Zeit wie auch das Sammeln von Steinen. Umarmen hat seine Zeit wie auch das Loslassen.
Suchen hat seine Zeit wie auch das Verlieren. Behalten hat seine Zeit wie auch das Wegwerfen.
Zerreißen hat seine Zeit wie auch das Flicken. Schweigen hat seine Zeit wie auch das Reden.
Lieben hat seine Zeit wie auch das Hassen. Krieg hat seine Zeit wie auch der Frieden.
Was also hat der Mensch davon, dass er sich abmüht?
Ich habe mir die Arbeit angesehen, die Gott den Menschen gegeben hat, damit sie sich damit plagen.
Gott hat allem auf dieser Welt schon im Voraus seine Zeit bestimmt, er hat sogar die Ewigkeit in die Herzen der Menschen gelegt. Aber sie sind nicht in der Lage, das Ausmaß des Wirkens Gottes zu erkennen; sie durchschauen weder, wo es beginnt, noch, wo es endet.
Dadurch wurde mir klar, dass es das Beste für den Menschen ist, sich zu freuen und das zu genießen, was er hat.
Denn es ist ein Geschenk Gottes, wenn jemand isst und trinkt und sich über die Früchte seiner Arbeit freuen kann.
Mir ist auch klar geworden, dass alles, was Gott tut, endgültig ist: Nichts kann hinzugefügt und nichts kann weggenommen werden. Gott handelt so, damit die Menschen Ehrfurcht vor ihm haben.
Alles, was heute ist, besteht schon seit langer Zeit, und alles, was in Zukunft sein wird, hat bereits in der Vergangenheit existiert. Denn Gott holt wieder hervor, was in der Vergangenheit gewesen ist. 
(Prediger 3, 1-15)


3. November 2014

Über das Müßiggehen und meinen Platz in der Gesellschaft

"Müßiggang ist das Aufsuchen der Muße, das entspannte und von Pflichten freie Ausleben, nicht die Erholung von besonderen Stresssituationen oder körperlichen Belastungen. Er geht z. B. mit geistigen Genüssen oder leichten vergnüglichen Tätigkeiten einher, kann jedoch auch das reine Nichtstun bedeuten." (Wikipedia, Juni 2014)
Ich befinde mich in meiner letzten Arbeitswoche, was bedeutet, dass ich an nur 2 Tagen dieser Woche meine Nachfolgerin einschulen darf. Dann bin ich raus. Und drinnen im Mutterschutz. Über 8 Wochen (dank Überstunden und Resturlaub) Müßiggang. Ich habe äußerst gemischte Gefühle dabei. Ich war bei Gott nie ein Workaholic, zu wichtig sind mir Privatleben, Freunde und Hobbies. Aber jetzt so ganz weg vom Fenster zur Arbeitswelt zu sein, bereitet mir doch etwas Unbehagen. Und das schreibe ich während ich spät Vormittags in meinem als Stillstuhl gekauften und nun zum Ort des Müßiggangs erklärten Ohrensessel sitze und einen Cappuccino schlürfe. Ja, das ist klasse, es ist purer Luxus...aber in unserer Gesellschaft nur schwer geduldet. Und dieser Geist der arbeitsamen, stets produktiven, immer jungen, ansonsten unnützen Gesellschaft hat Spuren bei mir hinterlassen. Es ist nicht die Langeweile vor der ich Angst habe, ich kenne keine Langeweile - ich liebe es, wenn einmal einfach nichts los ist, nichts läuft, nichts zu tun ist. Ich habe es schon als Kind bzw. Teenager auch tagsüber genossen einfach auf meinem Bett zu liegen und nachzudenken, ohne irgendetwas tun zu müssen. Vielleicht gilt mein Unbehagen auch nicht dem Tun, sondern vielmehr dem Sein. Man und Frau muss zugeben, dass das Muttersein keinen allzu guten Ruf mehr genießt. Muttersein bedeutet für die Wirtschaft eher Unproduktivität - naja, außer für die, die Babykram verkaufen, da sind Mütter geeignete, supersensible, von Liebe und Verantwortungsgefühl geblendete Milchkühe, die man von diversen Produkten leicht überzeugen kann.

Gesellschaftliche Tendenzen infiltrieren uns junge, aufgeklärte Frauen immer mehr damit, dass a) Selbstverwirklichung Priorität hat und b) dies am Besten, vor allem Karrieretechnisch, ohne den Störfaktor Kind funktioniert. Und sollte frau aus Selbstverwirklichungsgründen sich doch Kinder wünschen, dann möchte sie nach erledigtem Lebens-Agenda-Punkt doch auch möglichst schnell zum nächsten übergehen und karrieremäßig weiter kommen. Mütter, die nicht aus Gründen der Selbstverwirklichung, sondern FÜR die Kinder zu hause bleiben möchten, die Grundausstattung von Werten, Weltbild, sozialen und emotionalen Fähigkeiten in den ersten Jahren bis zur Schulzeit oder auch darüber hinaus den Kindern selbst mitgeben wollen, sind a) wohl nicht aufgeklärt genug, dass Hausfrau- und Muttersein verjochend und degradierend für Frauen und b) deshalb zu vernachlässigen ist. Hat schon jemand bemerkt, dass in Diskussionen über Frauen und durch Frauen zum Thema Arbeit und Kindererziehung großteils über verschiedene Modelle des schnellstmöglichen Wiedereinstiges in die Arbeitswelt bzw. den Ausbau von Baby- und Kleinkindbetreuungseinrichtungen gesprochen wird, jedoch nie über die Option, Mütter und Familien, die die Baby- und Kleinkinderziehung (sie schimpfen sich Hausfrauen) länger selber übernehmen würden, so zu unterstützen, dass sie dies tun können, ohne in finanzielle Not zu geraten? Sollen wir doch ja nicht auf den Gedanken kommen, dass AUCH die Kindererziehung (die unprofessionell, nich-tinstitutionelle) durch ihre Mamas und Eltern Wert hat. Hat sie auch nicht, sie soll nicht zu stark werden, die Erziehung und Wertevermittlung zu Hause, das möchten ja auch Medien und Schulpläne übernehmen. Die jungen Leute sollen ja doch auch in die sich verändernde Gesellschaft gut rein passen...
Ich plädiere für echten Pluralismus und verschiedenen Wahlmöglichkeiten. Nicht nur die, die gerade Mainstream sind oder werden sollen. Unser Pluralismus und unsere Toleranz sind im Allgemeinen eine recht fadenscheinige Angelegenheit, aber das auszuführen würde zu weit gehen.
P.s.: Diese Kritik bezieht sich nicht auf Frauen, die sobald als möglich wieder arbeiten WOLLEN. Ich spreche mich für die gleiche Unterstützung verschiedener, auch als antiqiert angesehene Lebens-, Familien- und Erziehungsentwürfe aus und dafür, dass diese wieder wertfrei zur Diskussion gestellt werden, ohne Köpfe in eine bestimmte Richtung drehen zu wollen.

Sollte sich das Ganze etwas zu frustriert anhören für jemanden, der mit sich und seiner Identität im Reinen ist, dann ist das eine berechtigte Annahme. Denn in diesem Prozess befinde ich mich genau jetzt. Deswegen fällt mir der vorübergehende Wechsel in einen 8-wöchigen Müßiggang irgendwie gar nicht so leicht...
Weil ich mich inmitten meiner Wertvorstellungen, meines Wissens über die Qualität "häuslicher" Erziehung und dem gesellschaftlichen Bild von der Mutterschaft bzw. des Hausfrauendasein befinde und in diesen gegensätzlichen Anschauungen meinen Weg suchen muss. Aber ich bin es gewohnt, solche Phasen gab's in meinem Leben immer wieder. Gerade als gläubiger Christ, für den dieser Begriff mein Leben und nicht nur Statistenrolle oder kulturelle Identität bedeutet, befindet sich die Beziehung meines Ichs, als Teil der Gesellschaft und der Gesellschaft, an der mein Ich teil haben soll, im Facebook-Status "es ist kompliziert". Aber das ist gut so, so bleibe ich wach, geistig flexibel und vor allem kritisch. So erarbeite ich mir meine Meinung, kann diese ändern und adaptieren und bleibe dabei authentisch. Nur einfach ist es nicht...

Doch abgesehen von meinem zweiten psychosozialen Moratorium, in dem ich mich gerade irgendwie befinde, ist es ein Segen und eine Wonne die Möglichkeit einer 8-wöchigen Pause zu bekommen. Und während ich in meinem Ohrensessel der Muße sitze und die kräftigen Bewegungen des kleinen Menschens in meinem Bauch meinen ganzen Körper leicht rütteln, freue ich mich auch auf die kommende Zeit. Ich seh' es als Lehrzeit, Vorbereitungsphase, ein in-mich-Gehen, bevor ich dann in die wohl eindrucksvollste Phase meines Erwachsenenlebens einsteige.