Alles hat seine Zeit...Sein und Werden

Alles hat seine Zeit, alles auf dieser Welt hat seine ihm gesetzte Frist: Geboren werden hat seine Zeit wie auch das Sterben. Pflanzen hat seine Zeit wie auch das Ausreißen des Gepflanzten. Töten hat seine Zeit wie auch das Heilen. Niederreißen hat seine Zeit wie auch das Aufbauen.
Weinen hat seine Zeit wie auch das Lachen. Klagen hat seine Zeit wie auch das Tanzen. Steine zerstreuen hat seine Zeit wie auch das Sammeln von Steinen. Umarmen hat seine Zeit wie auch das Loslassen. Suchen hat seine Zeit wie auch das Verlieren. Behalten hat seine Zeit wie auch das Wegwerfen.
Zerreißen hat seine Zeit wie auch das Flicken. Schweigen hat seine Zeit wie auch das Reden.
Lieben hat seine Zeit wie auch das Hassen. Krieg hat seine Zeit wie auch der Frieden. (Prediger 3, 1 - 8, die Bibel)

3. November 2014

Über das Müßiggehen und meinen Platz in der Gesellschaft

"Müßiggang ist das Aufsuchen der Muße, das entspannte und von Pflichten freie Ausleben, nicht die Erholung von besonderen Stresssituationen oder körperlichen Belastungen. Er geht z. B. mit geistigen Genüssen oder leichten vergnüglichen Tätigkeiten einher, kann jedoch auch das reine Nichtstun bedeuten." (Wikipedia, Juni 2014)
Ich befinde mich in meiner letzten Arbeitswoche, was bedeutet, dass ich an nur 2 Tagen dieser Woche meine Nachfolgerin einschulen darf. Dann bin ich raus. Und drinnen im Mutterschutz. Über 8 Wochen (dank Überstunden und Resturlaub) Müßiggang. Ich habe äußerst gemischte Gefühle dabei. Ich war bei Gott nie ein Workaholic, zu wichtig sind mir Privatleben, Freunde und Hobbies. Aber jetzt so ganz weg vom Fenster zur Arbeitswelt zu sein, bereitet mir doch etwas Unbehagen. Und das schreibe ich während ich spät Vormittags in meinem als Stillstuhl gekauften und nun zum Ort des Müßiggangs erklärten Ohrensessel sitze und einen Cappuccino schlürfe. Ja, das ist klasse, es ist purer Luxus...aber in unserer Gesellschaft nur schwer geduldet. Und dieser Geist der arbeitsamen, stets produktiven, immer jungen, ansonsten unnützen Gesellschaft hat Spuren bei mir hinterlassen. Es ist nicht die Langeweile vor der ich Angst habe, ich kenne keine Langeweile - ich liebe es, wenn einmal einfach nichts los ist, nichts läuft, nichts zu tun ist. Ich habe es schon als Kind bzw. Teenager auch tagsüber genossen einfach auf meinem Bett zu liegen und nachzudenken, ohne irgendetwas tun zu müssen. Vielleicht gilt mein Unbehagen auch nicht dem Tun, sondern vielmehr dem Sein. Man und Frau muss zugeben, dass das Muttersein keinen allzu guten Ruf mehr genießt. Muttersein bedeutet für die Wirtschaft eher Unproduktivität - naja, außer für die, die Babykram verkaufen, da sind Mütter geeignete, supersensible, von Liebe und Verantwortungsgefühl geblendete Milchkühe, die man von diversen Produkten leicht überzeugen kann.

Gesellschaftliche Tendenzen infiltrieren uns junge, aufgeklärte Frauen immer mehr damit, dass a) Selbstverwirklichung Priorität hat und b) dies am Besten, vor allem Karrieretechnisch, ohne den Störfaktor Kind funktioniert. Und sollte frau aus Selbstverwirklichungsgründen sich doch Kinder wünschen, dann möchte sie nach erledigtem Lebens-Agenda-Punkt doch auch möglichst schnell zum nächsten übergehen und karrieremäßig weiter kommen. Mütter, die nicht aus Gründen der Selbstverwirklichung, sondern FÜR die Kinder zu hause bleiben möchten, die Grundausstattung von Werten, Weltbild, sozialen und emotionalen Fähigkeiten in den ersten Jahren bis zur Schulzeit oder auch darüber hinaus den Kindern selbst mitgeben wollen, sind a) wohl nicht aufgeklärt genug, dass Hausfrau- und Muttersein verjochend und degradierend für Frauen und b) deshalb zu vernachlässigen ist. Hat schon jemand bemerkt, dass in Diskussionen über Frauen und durch Frauen zum Thema Arbeit und Kindererziehung großteils über verschiedene Modelle des schnellstmöglichen Wiedereinstiges in die Arbeitswelt bzw. den Ausbau von Baby- und Kleinkindbetreuungseinrichtungen gesprochen wird, jedoch nie über die Option, Mütter und Familien, die die Baby- und Kleinkinderziehung (sie schimpfen sich Hausfrauen) länger selber übernehmen würden, so zu unterstützen, dass sie dies tun können, ohne in finanzielle Not zu geraten? Sollen wir doch ja nicht auf den Gedanken kommen, dass AUCH die Kindererziehung (die unprofessionell, nich-tinstitutionelle) durch ihre Mamas und Eltern Wert hat. Hat sie auch nicht, sie soll nicht zu stark werden, die Erziehung und Wertevermittlung zu Hause, das möchten ja auch Medien und Schulpläne übernehmen. Die jungen Leute sollen ja doch auch in die sich verändernde Gesellschaft gut rein passen...
Ich plädiere für echten Pluralismus und verschiedenen Wahlmöglichkeiten. Nicht nur die, die gerade Mainstream sind oder werden sollen. Unser Pluralismus und unsere Toleranz sind im Allgemeinen eine recht fadenscheinige Angelegenheit, aber das auszuführen würde zu weit gehen.
P.s.: Diese Kritik bezieht sich nicht auf Frauen, die sobald als möglich wieder arbeiten WOLLEN. Ich spreche mich für die gleiche Unterstützung verschiedener, auch als antiqiert angesehene Lebens-, Familien- und Erziehungsentwürfe aus und dafür, dass diese wieder wertfrei zur Diskussion gestellt werden, ohne Köpfe in eine bestimmte Richtung drehen zu wollen.

Sollte sich das Ganze etwas zu frustriert anhören für jemanden, der mit sich und seiner Identität im Reinen ist, dann ist das eine berechtigte Annahme. Denn in diesem Prozess befinde ich mich genau jetzt. Deswegen fällt mir der vorübergehende Wechsel in einen 8-wöchigen Müßiggang irgendwie gar nicht so leicht...
Weil ich mich inmitten meiner Wertvorstellungen, meines Wissens über die Qualität "häuslicher" Erziehung und dem gesellschaftlichen Bild von der Mutterschaft bzw. des Hausfrauendasein befinde und in diesen gegensätzlichen Anschauungen meinen Weg suchen muss. Aber ich bin es gewohnt, solche Phasen gab's in meinem Leben immer wieder. Gerade als gläubiger Christ, für den dieser Begriff mein Leben und nicht nur Statistenrolle oder kulturelle Identität bedeutet, befindet sich die Beziehung meines Ichs, als Teil der Gesellschaft und der Gesellschaft, an der mein Ich teil haben soll, im Facebook-Status "es ist kompliziert". Aber das ist gut so, so bleibe ich wach, geistig flexibel und vor allem kritisch. So erarbeite ich mir meine Meinung, kann diese ändern und adaptieren und bleibe dabei authentisch. Nur einfach ist es nicht...

Doch abgesehen von meinem zweiten psychosozialen Moratorium, in dem ich mich gerade irgendwie befinde, ist es ein Segen und eine Wonne die Möglichkeit einer 8-wöchigen Pause zu bekommen. Und während ich in meinem Ohrensessel der Muße sitze und die kräftigen Bewegungen des kleinen Menschens in meinem Bauch meinen ganzen Körper leicht rütteln, freue ich mich auch auf die kommende Zeit. Ich seh' es als Lehrzeit, Vorbereitungsphase, ein in-mich-Gehen, bevor ich dann in die wohl eindrucksvollste Phase meines Erwachsenenlebens einsteige.


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