Alles hat seine Zeit...Sein und Werden

Alles hat seine Zeit, alles auf dieser Welt hat seine ihm gesetzte Frist: Geboren werden hat seine Zeit wie auch das Sterben. Pflanzen hat seine Zeit wie auch das Ausreißen des Gepflanzten. Töten hat seine Zeit wie auch das Heilen. Niederreißen hat seine Zeit wie auch das Aufbauen.
Weinen hat seine Zeit wie auch das Lachen. Klagen hat seine Zeit wie auch das Tanzen. Steine zerstreuen hat seine Zeit wie auch das Sammeln von Steinen. Umarmen hat seine Zeit wie auch das Loslassen. Suchen hat seine Zeit wie auch das Verlieren. Behalten hat seine Zeit wie auch das Wegwerfen.
Zerreißen hat seine Zeit wie auch das Flicken. Schweigen hat seine Zeit wie auch das Reden.
Lieben hat seine Zeit wie auch das Hassen. Krieg hat seine Zeit wie auch der Frieden. (Prediger 3, 1 - 8, die Bibel)

17. November 2014

Vom Lambada-Tanzen und Bäumchen-Schütteln...

...oder wie ein Geburtsvorbereitungskurs abläuft

Da saßen wir nun, mein Mann und ich, ein ganzes Wochenende, auf zwei Matten am Boden. Mit uns sieben andere Co-schwangere Paare aus dem Grenzgebiet Deutschland/Österreich. Und die Expertin - eine unglaublich, natürlich hübsche midfünfzig-Jährige mit kompetent, weiser Ausstrahlung...so wie das bei Hebammen halt so sein muss.
Ich muss zugeben, ich war jetzt nicht Feuer und Flamme für dieses Wochenende, ich/wir begegneten diesem eher mit Respekt, weiß man doch, dass so eine Geburt keine allzu feine, nach Veilchen duftende und nach Vivaldi klingende Sache ist. Da kann man nix schön reden, auch wenn man von "schönen Geburten" spricht oder spektakuläre, wie verstörende Gebärpraktiken wie das Hypno- oder Orgasmic-Birthing kursieren. Das ist so als würde man bei einem Absturz eines Flugzeugs sagen: "aber es war doch in einer schönen Gegend mit wahnsinns Aussicht und es iat ja auch schnell gegangen". Da spricht auch keiner von "schönem Absturz" - das gibt es auch (im besten Fall nur) Verletzte, Traumatisierte, Angst.
Jaja, ist schon klar, natürlich, die Geburt hat einen Sinn - am Ende bekomme ich das wohl unglaublichste Wiedergutmachtungsgeschenk - mein Baby - und ich kann die Vorfreude über diesen Moment gar nicht ausdrücken mein Baby kennen zu lernen, es zu herzen und zu küssen. Das wird und da werden mir auch sehr wenig widersprechen, einfach unglaublich schön. Gott sei es so sehr gedankt, dass der Körper ein Drogenlabor mit einem großartigen Dealernetzwerk hat!
Aber es ist wie es ist - ein zu kleiner Ausgang für ein zu großes Baby - und das MUSS weh tun, höllisch weh. Für Frauen, die noch nicht (vaginal...ja, wääääh) geboren haben, nicht nachzuempfinden - so auch für mich noch nicht. Mein Frauenarzt sagte neulich zu uns (männlich, wohl gemerkt!), es sei die stärkste Grenzerfahrung, die man als LebendE macht...alles andere (=Sterben) lasse sich schwer nachweisen. Tja, ob das beruhigend, bestärkend, whatever ist? Nope, nicht wirklich. Genau wie die Erkenntnis, die uns unsere Hebamme nahe bringen wollte, dass der weibliche Körper mit allem Nötigen ausgestattet wäre. Ist ja gut und schön, aber trotzdem muss mein Baby DA raus und WARUM um Himmels Willen MÜSSEN NUR wir Frauen das durchdrücken (haha)?
Ist schon klar: "frau bekommt ja soviel dafür zurück"..."frau hat dafür die stärkste Bindung zu dem Knirps"..."Männer würden das nicht überleben"...etc. Da schwirren sehr viele Phrasen herum, um einem eine brutale, blutige, eklige Sache schön zu reden.
Aus Höllenschmerz wird dann auf einmal der "Werdeschmerz". Eine der teilnehmenden erstgebärenden Frauen hat uns erzählt, wie eine Freundin das Gefühl des Gebärens beschrieben hat. Aufpassen, ich muss das nun etwas umschreiben: Es sei wie wenn man einen Ziegelstein in Querlage durch den Körper und anschließend durch den Enddarm und dem Anus befördern müsste. Und das halt so in der Dauer zwischen zehn und 26 Stunden. Aber hey, es ist ein Werdeschmerz.
Da muss auch jeder seine eigene Beschwichtigung finden, um sich auf diesen Wahnsinn einzulassen. Meine ist: die Geburt sind nur einige Stunden deines Lebens voller Schmerz, es geht vorbei, es gibt Drogen - unsre körpereigenen meine ich. Und als Belohnung bekomm' ich neben Dammnaht, schwachem Beckenboden, Inkontinenz und dem Aussehen als wäre bei einem alten Luftballon langsam die Luft ausgegangen, MEIN BABY, meinen Kleinen - ein Wunder, dass es nur deshalb gibt, weil ein bisschen was von meinem Mann und ein bisschen ich zusammengekommen sind. Unglaublich! Und bei dem Gedanken an unser kleines Fröschlein leisten die körpereigenen Drogen sofort wieder Höchstleistungen. Ich bin verliebt! In jemanden, den ich nicht kenne und der mir näher als irgendjemand anderer ist.
Und genau das - das Eine halbwegs traumafrei zu erleben und das Andere zu genießen - das haben wir in zwei Tagen Geburtsvorbereitungskurs gelernt.
Angefangen hat das Ganze mit der Frage an die Männer, warum sie hier seien und ob sie freiwillig da sind. Na hör'n sie mal - wenn er schon keine Geburtsschmerzen und das Schlachtfeld Frauenkörper nach der Geburt am eigenen Leib erleben muss, muss er zumindest durch einen ziemlich peinlichen Geburtsvorbereitungskurs und zumindest alle Ekligkeiten, Obszönitäten und Frauengeheimnisse mitbekommen! Wobei ich mir dabei vielleicht sogar öfter um meinen Mann Sorgen gemacht habe, wie er selber um sich, wenn es da um Schleim, Dämmen und Ausflüssen geht - und dabei handelt es sich nicht um Lawinen- und Wildbachverbauungs-Ausdrücken.
Doch er war tapfer. Gelegentliche angstverzerrte oder angewiderte Blicke von ihm zu mir oder hilfesuchend zum Nebenmann taten seinem Engagement extrem peinliche Gebärpositionen in der Gruppe mit mir zu üben, keinen Abbruch. Und während er das "Bäumchen schüttelte", indem er in Seitenlage meinen überdimensionalen Schwangeren-Körper sanft rüttelte (Massagetechnik) und mit mir unter Verzweiflungs-/Belustigungstränen lachend "Lambada tanzte" und er dabei hinter mir gebeugt, hüftenschwingend meine Lendenwirbel massierte, während ich vor ihm an der Wand lehnte und gemeinsam mit ihm eine fiktive Wehe veratmete, liebte ich ihn mehr denn je. Was für ein Mann! Was bringt mir ein Mann der mich auf Händen trägt - oh, toll, Muskeln. Der's im Bett bringt oder mich mit teurem Schmuck überhäuft, wenn er nicht, wenn's drauf ankommt auch mal das Bäumchen schüttelt, schreckliche Dinge sehen und hören muss, die der weibliche Körper zu Stande bringt und trotzdem aus vollem Herzen und mit all seiner Liebe und Hingabe jeden Tag JA zu mir sagt.
Von der Intensität her baute sich der Kurs an Schrecklichkeiten langsam auf. Was gut war - man kann auch nicht von 0 auf 100 Hecheln, Stöhnen und sich in der Gruppe in Positionen begeben, die man höchstens aus einem anderen Setting kennt. Anfangs wurden der Weg des Babys von seinem paradiesischem Zuhause in der Gebärmutter in die kalte Hölle Welt beschrieben. Anhand eines Plastik- und eines Stoffbeckens, sowie eines knautschbaren Babypüppchens in Originalgröße. Noch viel interessanter waren die coolen anderen Utensilien, wie eine sackähnlich, zusammenziehbare Gebärmutter aus Stoff, einer superulkigen Stoff-Plazenta plus Nabelschnur, die sich durch einen Stecker an das Knautschpüppchen anschließen ließ und als Höhepunkt einen mit Gummibändern zu befestigenden Beckenboden mit allem drum und dran. Toll. Was die so haben. Ob es das auch in Plüsch gibt? So als Spielzeug?
Thematisch hantelten wir uns den drei Geburtsphasen entlang: 1. Die mit einer klassischen (zuuuu langen, aber nicht ganz so angenehmen) Overtüre vergleichbaren "Eröffnungsphase". 2. Die "Übergangsphase", deren genauen Namen ich vergessen habe, weil nur gesagt wurde, dass sie halt sauuuuuu wehhhh tut - den Rest hab ich dann vergessen. Und als fulminantes Ende die 3. Phase mit dem klingenden Namen "Austreibungsphase". Und für diese Phasen lernten wir dann eben verschiedene Atemtechniken und mögliche Positionen, die aus der Schmerz-Hölle evt. nur den Vorhof davon machen könnten.
Was dieser Hebamme noch zu Gute zu halten ist: Sie machte die wirklich peinlichen Dinge selber vor. Sie stöhnte, hechelte und demonstrierte uns Wehen. Das war nett, wirklich!
Und wie ich mich nach diesem intensiven Erlebnis fühle? Ich muss sagen - vorbereitet. Nicht mehr ganz so hilflos. Ich weiß dann zumindest, wir hätten da doch mal was gehört. Und ich weiß, diese 14 Personen müssen innerhalb der nächsten drei Monate auch alle da durch. Das beruhigt irgendwie. Ich bin froh um diese Erfahrung. Manchmal braucht man einfach total verstörende, anwidernde, herausfordernde, eklige Erfahrungen, um zu wachsen - so ähnlich ist es halt dann auch eben mit dem Gebären - wahrscheinlich...

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