Alles hat seine Zeit...Sein und Werden

Alles hat seine Zeit, alles auf dieser Welt hat seine ihm gesetzte Frist: Geboren werden hat seine Zeit wie auch das Sterben. Pflanzen hat seine Zeit wie auch das Ausreißen des Gepflanzten. Töten hat seine Zeit wie auch das Heilen. Niederreißen hat seine Zeit wie auch das Aufbauen.
Weinen hat seine Zeit wie auch das Lachen. Klagen hat seine Zeit wie auch das Tanzen. Steine zerstreuen hat seine Zeit wie auch das Sammeln von Steinen. Umarmen hat seine Zeit wie auch das Loslassen. Suchen hat seine Zeit wie auch das Verlieren. Behalten hat seine Zeit wie auch das Wegwerfen.
Zerreißen hat seine Zeit wie auch das Flicken. Schweigen hat seine Zeit wie auch das Reden.
Lieben hat seine Zeit wie auch das Hassen. Krieg hat seine Zeit wie auch der Frieden. (Prediger 3, 1 - 8, die Bibel)

5. September 2016

Mein Geständnis

Vor ein paar Tagen, als ich in der herrlichen Abendsonne am kroatischem Meer das Streicheln des Allmächtigen höchstpersönlich im sanften Wind auf meiner Haut spürte, den salzigen, herrlichen Meeresduft roch - der mir auch dann noch angenehm vertraut sein würde, wenn mein Augenlicht versagte -, ich dem sanften Plätschern und Rauschen des Meerwassers, dass seine Wellen an den Felsen zerschellt lauschte, in der Ferne das Krächzen der Möwen und Geschnattere der Urlauber hörte und dabei mein Körper und mein Geist all diese Schönheit wie ein Schwamm aufsogen, schweifte mein Blick zu meinen Männern - dem Großen und dem Kleinen - und ich dachte mir: IHR seid nicht zu übertreffen, nicht mal vom wunderschönen, betörenden, unendlich scheinenden Meer.
Und gerade deswegen wird es Zeit für eine Rückschau, eine ehrliche, schonungslose Bilanz meiner letzten 19 Monate als Mama. Lesen auf eigene Gefahr! Denn ich muss hier einige Geständnisse machen, die vielleicht nicht jeder gerne hört oder lesen möchte. Doch dies ist jedem selber überlassen - ich will es schreiben. Vielleicht nur für mich, vielleicht auch noch für jemanden, der sich darin wiederfindet.

Geständnis Nr. 1: Ich war noch nie so verunsichert wie jetzt.
In meinem Leben vor meinem Kind war ich sehr selbstbewusst, wusste was und wohin ich wollte. Manche Menschen, vor allem mein Mann, konnten sich darauf verlassen, dass ich sagen würde, in welche Richtung es gehen sollte, was meine Meinung und meine Entscheidung zu etwas ist.
Seit der Geburt meines Sohnes ist dieser entscheidungsfreudige Charakterzug so gut wie verloren gegangen. Ich bin, was Entscheidungen angeht, sehr unschlüssig geworden. Ich tue mich sehr schwer mit dem Fällen von Entscheidungen. Ich habe meist Angst vor negativen Folgen oder Konsequenzen für meine Familie. In jede Entscheidung fließt seit der Geburt meines Sohnes sein Wohlbefinden und seine Gesundheit mit ein. Nein, viel mehr noch: es ist die erste Priorität. Nicht, dass ich ihn aktiv miteinbeziehen müsste, sondern viel eher kann ich gar nicht anders. Was mich zum zweiten Geständnis führt:

Geständnis Nr. 2: Dieser "du-trägst-dein-Herz-außerhalb-Kitsch" ist wahr.
Mein Wohlbefinden ist davon abhängig, ob es meinem Kind gut geht. Das ist nicht unbedingt positiv, aber es ist halt so. Wenn mein Kind weint, weint mein Herz. Wenn mein Kind lacht, lacht mein Herz. Wenn mein Kind leidet, leidet mein Herz. Wenn mein Kind genießt, genießt mein Herz. ALLES, was mein Kind betrifft, betrifft unmittelbar MICH bzw. mein Herz. Ich denke, je älter sie werden, desto abgelöster wird man. Doch ich glaube auch, dass das die eigene Person betrifft und nicht das Herz. Ich denke, in mein Herz ist für alle Zeit sein Name, sein Gesicht, sein Lachen, sein Weinen und seine Geschichte eingemeißelt.

Geständnis Nr. 3: Nichts ist wie es einmal war.
Egal welcher Lebensbereich, es ist nichts, wie es einmal war. Die Geburt meines Sohnes hat unsere Lebensgeschichte umgeschrieben. Es ist unfreier geworden, fremdbestimmter, eingeschränkter, komplizierter. Ob es sich um die Treffen mit Freunden, unsere Freizeitakitvitäten, unseren Tagesablauf, unser Liebesleben, unsere Hobbies, unsere Beziehung, unsere Bedürfnisse betrifft - es hat sich alles verändert. Ich hätte es mir vorher nicht vorstellen können, dass es sich jemals so verändern kann, aber es ist von einem auf den anderen Tag einfach so passiert.
Alles wurde anders. Bunter. Liebe-voller. Herrlicher. Gemeinsamer. Strukturierter. Chaotischer. Flexibler. Starrer. Verbundener. Lustiger. Schöner. Spannender. Familie eben.

Geständnis Nr. 4: Meinen Körper, wie er vor der Geburt war, gibt es nicht mehr.
Mein Körper hat innerhalb von 15 Monaten 25kg zu und 37kg abgenommen. Meine Haut am Bauch ist gerissen, ausgeleiert und lässt sich wie ein lustiger schlabbriger Luftballon wabbeln. Was meinem Sohnemann große Freude bereitet, wenn er genüsslich hineinkneift. By the way - auch, wenn die Haut und das Gewebe kaputt sind, Gefühl hab ich da ja noch immer :/.
Ich mache seit Februar aktiven Sport, aber habe leider nicht die besten Gene und kein gutes Bindegewebe. Damit werde ich leben müssen, denke ich. Auf der anderen Seite bin ich fitter als jemals zuvor. Mir ist der sogenannte Knopf aufgegangen. Ich musste meinen Lebensstil völlig umkrempeln, wenn ich gesund bleiben und halbwegs eine Form behalten will. Ich bin zu einem kleinen undercover Fitness-Fan geworden. Die, die mich persönlich kennen, wissen, dass sich diese Tatsache so ähnlich wie das mit den fliegenden Schweinen verhält. Ich habe seit jeher Sport zu meinem persönlichen Feind erklärt. Aber es musste ja so kommen, lebe ich ja unter anderem nach der Prämisse "Liebe deine Feinde!" :). Ich bin also eine von diesen total nervigen, ich-bin-jetzt-zuhause-mein-Körper-gerät-aus-den-Fugen-ich-muss-was-dagegen-unternehmen-und-verdiene-mir-mit-dem-xsten-Fitnessprogramm-Geld-dazu-Mamas ohne Promistatus und ohne Geldverdienen halt.

Geständnis Nr. 5: Ich versage. Jeden Tag.
Vorm Mamasein war ich ein recht selbstbewusster Mensch. Was zumindest die Interessen und Schwerpunkte angingen, die ich in meinem Leben lege. Und wenn ich nicht selbstbewusst war, konnte ich mein Umfeld dennoch glauben machen, dass ich Ahnung habe. Seit der Geburt meines Sohnes gibt es dieses Selbstbewusstsein weder im Sein, noch im Schein. Jeden Tag versage ich, verhalte mich falsch, gebe zu wenig, entscheide ich verkehrt, bin meinen Unzulänglichkeiten als Mama und als Mensch, die bzw. der ich sein möchte, ausgeliefert. Und dessen bin ich mir bewusst. Ich hätte ihn noch mehr tragen sollen, hätte ihn an ein Familienbett gewöhnen sollen, sollte ihm keinen Zucker geben - niemals, hätte länger stillen müssen, hätte erkennen müssen, dass er zu wenig bekam als er gestillt wurde, sollte ihn mehr fördern, sollte meinen Haushalt ordentlicher führen, müsste noch mehr und konsequenter Sport machen, sollte noch gesünder essen, hätte nur Holzspielzeug anschaffen sollen, sollte mehr mit Babyboy in den Wald gehen, müsste all seine Entwicklungsfortschritte dokumentieren und wissen, was als nächstes ansteht, sollte immer im Blick haben, welche Untersuchung als nächstes dran kommt, ich müsste glücklicher und zufriedener sein und müsste morgens voller Elan aus dem Bett hüpfen und meinen Sonnenschein in Person begrüßen, hätte sollen müssen!
Ich versage. Jeden Tag. Mein Kind verzeiht. Jeden Tag.
Trotz Baby bin und bleibe ich eine Chaotin, ohne Überblick wichtiger Termine. Ich bleibe die Frau, die aufgrund ihrer Biologie nicht ausreichend stillen kann. Ich bleibe die Mama eines Zuselwusel, der nix von Familienbett und Getragenwerden hält. Ich bleibe Miriam, die sich für Sport schwer überwinden muss und viel zu gerne, viel zu viel Schokolade essen möchte. Ich bleibe die Frau, die morgens einen möglichst friedlichen, gleitenden Start in den Tag braucht, frühestens ab 7 und nur für mich. Ich bleibe die Frau, die beim Haushalt die Oberflächlichkeit bevorzugt.
Meine Eigenschaften und Fehler haben sich durch die Geburt meines Sohnes nicht verändert. Ich bin, auch wenn ich mich nach der Geburt wie eine fühlte, keine Heldin geworden. Es entwickelten sich bei mir keine Superkräfte, um auf die Bedürfnisse meines Kindes OPTIMALST, nach besten wissenschaftlichen und müttersemiwissenschaftlichen Erkenntnissen einzugehen. Ich bin ich. Mit meinen Fehlern und mit denen muss auch ein kleines unschuldiges Kind aufwachsen. Und ich muss auch damit leben lernen.
Ich versage. Jeden Tag. Mein Kind verzeiht. Jeden Tag.

Geständnis Nr. 6: Ich bin zornig und verletzlich geworden.
Meine Fehlerhaftigkeit aus Nr. 5 macht mich oft zornig und frustriert. Ich ärgere mich seit 19 Monaten darüber, wenn ich meinen Sohn vor sieben, manchmal sogar nach sieben, quaken höre und weiß, sein Tag hat schon begonnen, während mein Gehirn sich noch in Tiefschlaf befindet. Wenn ich höre, wie die meisten anderen Mamas schon lange vor den Kindern aufstehen, um noch Zeit für sich ODER HAUSHALT haben, dann werde ich klitzeklein mit Hut. Ich - ich werde einfach nur zornig. Dann winde ich mich im Bett, schimpfe wie ein Rohrspatz und jammere vor mich hin, wie arm ich doch bin. Ja, so mach ich das. Und, wenn ich mich dann eingekriegt habe, dann kanns los gehen. Ich liebe leidenschaftlich und ich kann auch leidenschaftlich zornig sein.
Zu meinem auflodernden Zorn bin ich auch noch verletzlich geworden. Nichts mit Fels in der Brandung und nur die Ruhe bewahren - das war mal. Ein falsches Wort oder ein falscher Blick, vor allem in Bezug auf meinen Sohn, treffen mich wie ein feuriger Pfeil. Ja, nicht nur mein Bauch ist weich geworden....

Geständnis Nr. 7: Ich habe mich verliebt.
Ich habe mir das vielleicht schockierendste Geständnis für den Schluss aufbewahrt. Ich habe einen sehr lieben Mann, der wirklich sein Bestes und alles für mich gibt. Er war auch immer genug.
Aber...jetzt habe ich mich neu verliebt. Ich hätte niemals damit gerechnet, aber es hat mich einfach völlig überfahren. Die ganzen Gefühle. Ein ganz neues Kribbeln. Eine ganz neue Dimension vom Verliebtsein. Zuerst dachte ich mir nichts, ich dachte es hätte sich nichts verändert zwischen mir und meinem Mann. Aber dann traf ich IHN...
Da ich es amtlich und öffentlich machen will.
Ich habe mich in den Vater meines Sohnes verliebt.
Er ist umwerfend. Liebevoll. Stark. Gutaussehend. Leidenschaftlich. Ein Traum von einem Mann. Ein hingebungsvoller Vater.
Er ist eine noch viel bessere Version meines Mannes, ein Segen.

Geständnis Nr. 8: Das Banalste ist außergewöhnlich genug.
Nichts bringt mein Herz so zu singen, wie der Anblick meiner Männer. Vor einiger Zeit flashte mich eine Situation, die bei uns fast täglich so vorkommt: Meine neue Liebe und mein Sohn plantschten in der Badewanne, um Essens-, Sand- und Drecksreste ab zu schrubben. Mein Mann trällerte zu einem Rock-Klassiker, der aus unserem Badeentenradio schallte, während mein Sohn sich freudig quakend Wasser über den Kopf goss. Beide im wunderbaren Adamskostüm, die Bäuche gemütlich dem Feierabend entgegengestreckt. Ich nutzte die Zeit, um schnell mit dem Staubsauger durch die Wohnung zu flitzen und die gröbsten Verunreinigungen am Boden verschwinden zu lassen, damit es nicht so knarzt, wenn man drüber läuft. So öffnete ich auch die Badtür, um auch diesen Raum schnell in Angriff zu nehmen. Und da saßen sie. In der Wanne. Mein Leben. Die Lieben meines Lebens. Mein Glück. Der größte Segen und mein größtes Ärgerniss, dass mir Gott anvertraut hat. Und mein Herz wollte übergehen vor lauter Liebe für das hier. Und ich erkannte die Schönheit und den Zauber im Einfachsten, Alltäglichen -

Ich gestehe: Es ist perfekt, so wie es ist!

3 Kommentare:

  1. So wahr! ... und sooooooo schön geschrieben! Vor allem in Nr 5 und 8 finde ich mich täglich wieder ��

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    1. Vielen Dank für das Kompliment! Ich würds nie schreiben, wärs nicht genau so :)

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  2. Ach Miri...wie du beschreibst was ich auch erlebt gab und ja das Mutter Herz aussen hoert auch spaeter nicht auf. Danke fuer deine ehrlich greifbaren Worte

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