Alles hat seine Zeit...Sein und Werden

Alles hat seine Zeit, alles auf dieser Welt hat seine ihm gesetzte Frist: Geboren werden hat seine Zeit wie auch das Sterben. Pflanzen hat seine Zeit wie auch das Ausreißen des Gepflanzten. Töten hat seine Zeit wie auch das Heilen. Niederreißen hat seine Zeit wie auch das Aufbauen.
Weinen hat seine Zeit wie auch das Lachen. Klagen hat seine Zeit wie auch das Tanzen. Steine zerstreuen hat seine Zeit wie auch das Sammeln von Steinen. Umarmen hat seine Zeit wie auch das Loslassen. Suchen hat seine Zeit wie auch das Verlieren. Behalten hat seine Zeit wie auch das Wegwerfen.
Zerreißen hat seine Zeit wie auch das Flicken. Schweigen hat seine Zeit wie auch das Reden.
Lieben hat seine Zeit wie auch das Hassen. Krieg hat seine Zeit wie auch der Frieden. (Prediger 3, 1 - 8, die Bibel)

16. Juni 2016

45h

Ich sitze hier am helllichten Tag und schreibe am viel zu lange ausstehenden Blogeintrag. Nochmal, es ist helllicht. Nicht erst abends, wenn meine kleine Düse im Bett ist. Der Grund: ich hab Urlaub. Urlaub? Du bist Mama. Den gibts nicht. Genau so wenig wie Wochenende.
Ja, das geht. Ich habe 45h Urlaub vom Mamasein.
Mein Mann hat ein Abenteuer vorgeschlagen, für einen Arbeitstermin in Vorarlberg einen Zwischenstop bei seiner Zillertaler Familie einzulegen, dort zwei Nächte zu bleiben UND unseren Sohn mit zu Oma zu nehmen. Bumm! Kennt ihr das, wenn Herz und Kopf irgendwie verschwimmen und zu allem irgendwie "JA, bitte" und gleichzeitig "NEIN, auf keinen Fall" sagen? Beide wustten,  dass es a) gut tun würde und b) übehaupt kein Problem werden würde, da unser Sohnemann die Abwechslung, das Tületü der dortigen Verwandten und die tollen Ausflüge zum Familien-Bauernhof lieben würde. Was aber einer Mama dann so durch den Kopf geht lässt sich ungefähr so darstellen:

Hmmmmm.Wäre schon toll.Irgendwie.So richtig.Was ich da alles machen könnte.So nur mit mir.ABER MEIN BAAAAABYYYYY!Wenn er das Trauma seines Lebens bekommt, weil er aufwacht und KEINER, weder Mama oder Papa da sein werden (1x).Und sie wissen doch seine Gewohnheiten nicht. Und er braucht doch dies Ritual und den Ablauf.Und wenn sie nicht auf ihn eingehen.UND WENN ER MICH VERMISST UND ICH SO WEIT WEG BIN.Und wenn er mir das nie verzeihen wird, dass ich ihn in Stich gelassen habe.Und er dann eine Bindungsstörung bekommt und später kriminell wird.Und wie wird er schlafen?Er schläft doch so unruhig.aber schön wärs schon...so ganz alleine...so nur für mich...rumhängen, alles stehen und liegen lassen, nix in Sicherheit vor Babyzilla bringen müssen...hmmm...in die Stadt fahren....shoppen...mmmhmmm..ABER MEIN BABYYYYY...

Ich denke, man merkt - schwierige Sache so eine Entscheidung. Mein Mann organisierte und regelte alles immer mit dem Beisatz "aber wir behalten uns Planänderungen vor, da sich Miri emotional noch nicht entscheiden hat". Es fiel mir tatsächlich leichter, dass ich nicht gleich voller Enthusiasmus bzw. Verstörung "JA, unbedingt" bzw. Nein, auf keinen Fall!" gesagt habe. Ein "Jein...!!??" half mir mich nicht als allzu schlechte Mutter zu fühlen, die ihr Kind in die Fremde schickt.
Der Tag rückte näher und ich fing zu planen an, was ich mit meiner freien Zeit anstellen könnte. Also war die Sache spätestens da entschieden, wo ich den Kram meines kleinen Wildlings zusammenpackte. Solch 45h müssen schon gut geplant sein. Für Mama vor allem. Damit sie nicht weint. Also - ein ablenkender, unterhaltsamer, aber nicht zu intensiver, gechillter Ich-darf-wiedermal-nur-ich-sein-Plan musste her. 

Der Abschied überrumpelte mich dann aber dennoch, nachdem der Vormittag, wie auch schon der Abend davor, nahezu idyllisch im Wissen, der nahenden kurzen Trennung, verlief. Ich legte so viel fürsorgliche, bindungsorientierte, pädagogisch wertvolle, mütterliche Liebe in unser gemeinsames Waschen, Jausnen und Spielen, wie selten zuvor. Innerlich mein Herz betankend und loslösend.
Dann war es soweit, ich merkte, wie ich es etwas hinauszögern wollte, dass ich ihn ins Auto setze. Beim Abschied musste ich mir ein, zwei Tränchen verkneifen, da der Herr Papa mich etwas belächelnd, aber natürlich total verständnisvoll beobachtete. Mein Sohn verhielt sich, freudig aufgeregt dem Ausflug hineifernd so als würde er sich denken: "Was hat denn die Alte? Dieses ewige Geschmuse und Gedrücke nervt enorm!" Man muss dazu sagen, dass mein Sohn kein besonders starkes Bedürfnis nach extra Kuscheleinheiten hat und einfach am liebsten ständig rumwuseln möchte, ohne durch Umarmungen eingeschränkt zu werden.

Und dann stand ich da...so erschreckend frei. Und was macht man, wenn man so frei ist? Man bringt erstmal die Wohnung in Ordnung. HA! Aber diesmal, lass ich alle Türen offen stehen, befinde mich im Staubsaugtechnischen Fluss, statt im Stop and Go mit Kleinkind! Kurz darauf war ausgemacht, dass von meinen Schwä(gerinundSchwe)stern abgeholt werde, damit wir Erdbeeren pflücken gehen. Eine weitere Stunde um. Danach nahm ich mir die Zeit, die Erdbeeren verarbeitungsbereit zu verstauen - so total hausfräulich. Ja klar, die meisten Mamas machen das mit links während sie Blaubeerengelee machen, ihr Getreide mahlen, die Hecke schneiden und den Garten bepflanzen. Ich kanns nicht. Vielleicht weil ihre Kinder mal in der Sandkiste sitzen und Sandmenüs zaubern oder ungekochte Nudeln von einer Schüssel in die andere schütten. Meiner machts nicht. Meiner saust herum, ständig und ohne Ruh, zerlegt, reißt herunter, quakt, wühlt, matscht, nimmt in den Mund...tjo.
Gibt es unter meinen LeserInnen auch einige, die so wie ich sich auch meistens, wenn sie "altersgerechte" Tips oder altersspezifische Qualifiaktionslisten in Erziehungsratgebern sehen, denken: Also MEIN Kind macht/kann/will/tut DAS nicht ? Naja, andere Geschichte. Ich war ja bei meinen Erdbeeren. Danach kam meine BFF zum Chillen, dann haben wir uns Flammkuchen, einen low carb einen mit carb gemacht. Tja, was man halt so macht.
Gegen Abend hin hatte ich eine Art Phantom-Schmerz und hörte immerzu das Babyphone rauschen, obwohl weder Baby noch Babyphone im Haus waren. Beflügelt durch mein "so-tun-als-hätte-man-noch-kein-Kind" wurde lauter gesprochen, Türen lässig ins Schloss fallen gelassen, durch den Hausgang gestapft, Licht eingeschaltet, Türschlösser beherzt umgedreht, Zeug herumliegen gelassen (auch Scheren und Messer!!) und unnötig getönt.Großartiges Gefühl. Einen großen Fehler beging ich, ich ging in das leere Zimmer und stellte fest, wie mein Söhnchen doch wundervoll duftet und dieser Duft sogar in seinem leeren Zimmer schwebte. O o o o o, da musste ich kurz den Geschmack der Sehnsucht und des Verlassenwerdens herunterschlucken. Es klappte.
Ich stellte mich auf meine erste durchschlafene Nacht seit ca. 20 Monaten (inkl. Schwangerschaft) ein. Sie dauerte bis 3 Uhr, danach bis um 6 Uhr und um halb 9 prügelten mich die Rückenschmerzen vom Liegen aus den Federn.
Am nächsten Tag war shoppen geplant. Mit dem Zug in die Stadt, mit einer Freundin treffen - bummeln. So wie in meiner Zeit als Studentin. Es war herrlich, als hätte es nie aufgehört. Mit der einzigen Veränderung, dass mir beim Anblick kleiner Kinder und Babys ein innerliches Seufzen entfleuchte und die Hälfte der geshoppten Beute Mini-Klamotten waren. Aber sonst - wie immer.
Zuhause angekommen, tat ich NICHTS. Und das auf der Couch. Allein. Danach trieb mich das schlechte Gewissen, aufgrund der wenigen Sonnentage bei uns, in den Garten, um dort NICHTS zu tun. Der Abend liegt noch vor mir, er ist noch jung. Heute.
Ich habe keine Verantwortung, keine Verpflichtung, keine innere Unruhe, noch etwas erledigen zu müssen. Ich bin nur für mich da. UND ich genieße es. In vollen Zügen. Darf man das als Mama überhaupt so sagen? Nein, auf keinen Fall. Ich kann doch ohne mein Kind nicht! Also, ich kann. Ein paar Tage kann ich das sehr gut. Aber als Mama will man doch sein altes Leben gar nicht mehr. Doch. Manchmal schon. Und mal kurz Urlaub in dieses alte Leben zu machen, um ein bisschen auf zu tanken, ist möglich und angenehm.
Und Morgen? Da schlaf ich aus und freue mich wie ein verliebter Teenager auf meine zwei Männer und werde voller Hingabe und Energie wieder Mama sein. Ich werde ihn knuddeln, er wird schnell das Weite suchen, weils doch so viel andere wichtige und interessante Sachen zu tun und zu entdecken gibt und ich werde ihm zuhören, was er so zu erzählen hat von den "mumumuuuhs" und den "wauwauwaus" und der "Ama" und dem Apo" und ganz viel "gugglguggl". Hach, wie ich mich auf meinen kleinen Hasen freue...

Und auf meine nächsten 45h Urlaub - irgendwann mal wieder ;)

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