Alles hat seine Zeit...Sein und Werden

Alles hat seine Zeit, alles auf dieser Welt hat seine ihm gesetzte Frist: Geboren werden hat seine Zeit wie auch das Sterben. Pflanzen hat seine Zeit wie auch das Ausreißen des Gepflanzten. Töten hat seine Zeit wie auch das Heilen. Niederreißen hat seine Zeit wie auch das Aufbauen.
Weinen hat seine Zeit wie auch das Lachen. Klagen hat seine Zeit wie auch das Tanzen. Steine zerstreuen hat seine Zeit wie auch das Sammeln von Steinen. Umarmen hat seine Zeit wie auch das Loslassen. Suchen hat seine Zeit wie auch das Verlieren. Behalten hat seine Zeit wie auch das Wegwerfen.
Zerreißen hat seine Zeit wie auch das Flicken. Schweigen hat seine Zeit wie auch das Reden.
Lieben hat seine Zeit wie auch das Hassen. Krieg hat seine Zeit wie auch der Frieden. (Prediger 3, 1 - 8, die Bibel)

26. April 2016

Von der Freiheit leerer Fensterbänke...

Als ich neulich meiner Freundin mit Glanz in den Augen erzählte, dass mein Mann und ich ein gemütliches Frühstück in einem tollen Café (the bakery by Didi Maier) genießen konnten, während sich unser seit einer Woche endgültig zweibeiniger Sohn in der Spielecke vergnügte und fröhlich glucksend sein Terrain entdeckte, stellte diese etwas verdutzt über meine Euphorie (wohl, weil noch kinderlos) fest: Wenn man Kinder bekommt, wird den Eltern irgendwie mit dem Tag ihrer Geburt jede persönliche Freiheit geraubt und dann Stück für Stück wieder zurück gegeben. Das klingt vielleicht etwas ernüchternd und so gar nicht rosig. Aber irgendwie hat sie halt echt Recht damit. Wenn ich jetzt sage, dass aber genau diese kleinen Freiheiten, die man wiedergewinnt um so viel schöner sind, weil sie viel bewusster wahrgenommen werden, dann macht das Mamas und Papas to be wahrscheinlich auch nicht viel mehr Mut. Naja, was solls, ist ja auch mein Blog - und ich genieße diese kleinen wiederkehrenden Freiheiten. Viele Kleinigkeiten haben dann so einen Touch erstes-Mal-feeling. Liegt vielleicht auch daran, dass es ja das erste Mal ist. Klar war ich schon oft mit meinem Mann nett frühstücken. Aber noch nie als Mama mit meinem Mann, der jetzt der Papa meines Sohnes ist, welcher (also der Sohn, nicht der Papa) sich dabei ganz alleine, auf zwei Beinen stehend, in der Spielecke beschäftigt und immer mal wieder vorbei kommt, um sich einen Bissen seines Bio-Dattel-Zimt-allesnurnichtWeizen-undwasweißich-Keks zu holen. Das erste Mal eben.

Apropos, Freiheit und so. In jeder zweiten gratis Drogeriezeitschrift kann man davon lesen, wie befreiend es sein soll, wenn man sich von unnötigem Ballast löst. Mein Sohn ermutigt mich gerade wie nie zuvor dazu, Ballast abzuwerfen und sich von Unnötigem zu trennen. Nämlich von Dingen. Dingen auf Fensterbänken. Und Schränken. Dekokram, Blumentöpfe, Vorratsbehälter, Bücher - alles was so in 86cm + Kleinkindarmlänge + Go-go-gadgeto-Kleinkinderfinger Höhe erreichbar ist und mit Sicherheit von dort angegrabscht und zu Fall gebracht wird und dann entweder in wilden Mama-Schreckszenarien entweder Babys Kopf oder den schönen Parkett kaputt machen - beides NICHT GUT, GAR NICHT GUT.

Zweibeinigkeit ist im Allgemeinen sehr praktisch. Ich kann nun mein Kind abstellen, einfach so. Es hat Schuhe an und die sind für dreckige Untergründe gemacht. Und wenn man dann das Kind kurz abstellt, bleibt es stehen (bzw. watschelt natürlich sofort los). Toll. Tolle Funktion. Toll ist auch, dass zwei Beine so viel leiser sind, wie vier. Bubi kann sich nun viel besser irgendwohin schleichen und das tun, was im Moment sein Job ist - Dinge erforschen, anders gesagt, Quatsch machen, Tuben ausdrücken und den Inhalt verteilen, Gegenstände auf Geschmack und Konsistenz testen, Zimmer verwüsten, usw.
Falls jemand "The walking dead" kennt - ich hab jetzt so eine Reality-Show Version "the walking living" bei mir Zuhause. Man stelle sich ein entzückendes zwergähnliches Menschlein, mit leichtem Hohlkreuz, Windelpopo und tapsigen Watschelfüßchen vor, welches unentwegt in der Wohnung umher wandert und sich an seiner neuen Fähigkeit mit einem begeisterten "gugglgugglguggl" erfreut.
Wie man ja aus der Entwicklungspsychologie weiß, hängen die motorische Entwicklung und die geistige Entwicklung eng zusammen. Was sich natürlich auch bei Mini-Funky zeigt. Seine Welt hat sich enorm vergrößert, die Grenzen seiner Mobilität und seiner Kreativität erweitert. Da Wollen und Können momentan nicht kongruent sind, sind sein tägliches Patrouillieren, von einem unangenehmen (für das Umfeld) Suder-Motz-Dauerton der Unzufriedenheit begleitet. Es ist aber auch verständlich, das kann schon mal frustrieren. Mit Frust umzugehen müssen wir beide gerade täglich, stündlich und minütlich lernen. Ob es bei mir das gefühlt 356.981ste "Neiiiin!?" ist, während Sohnemann frech grinsend das 356.981ste Mal die Stehlampe umreißt oder wenn ich es nicht zulassen kann, dass er das fünfte Taschentuch aufisst - wir lernen jeden Tag mit unserem Frust umzugehen. Bis wir uns irgendwo einigen - bei leeren Fensterbänken zum Beispiel.

Foto by Doris Heinrich Photography

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen