Alles hat seine Zeit...Sein und Werden

Alles hat seine Zeit, alles auf dieser Welt hat seine ihm gesetzte Frist: Geboren werden hat seine Zeit wie auch das Sterben. Pflanzen hat seine Zeit wie auch das Ausreißen des Gepflanzten. Töten hat seine Zeit wie auch das Heilen. Niederreißen hat seine Zeit wie auch das Aufbauen.
Weinen hat seine Zeit wie auch das Lachen. Klagen hat seine Zeit wie auch das Tanzen. Steine zerstreuen hat seine Zeit wie auch das Sammeln von Steinen. Umarmen hat seine Zeit wie auch das Loslassen. Suchen hat seine Zeit wie auch das Verlieren. Behalten hat seine Zeit wie auch das Wegwerfen.
Zerreißen hat seine Zeit wie auch das Flicken. Schweigen hat seine Zeit wie auch das Reden.
Lieben hat seine Zeit wie auch das Hassen. Krieg hat seine Zeit wie auch der Frieden. (Prediger 3, 1 - 8, die Bibel)

17. Dezember 2014

Walfisch-Wellness und Torschlusspanik

Aus dem Alltag einer Hochschwangeren:

Aufgrund von undefinierbaren Schmerzen in Bauch, Rücken und Beinen erhebe ich mich nicht mehr ganz so anmutig aus unserer sehr weichen Couchliege. Dies funktioniert mehr oder weniger nur, indem ich mich in Zeitraffer mehrerer akrobatischen Wendungen bediene. Ich drehe mich einnmal seitlich, danach begebe ich mich in angedeuteten Vierfüßlerstand, um daraufhin ein Bein nach dem anderen auf den Boden zu setzen, meinen Körper in die aufrechte Position zu bringen, ohne aufgrund des Gewichts des Bauches wiederum nach vorne zu kippen. Habe ich mich einmal stabilisiert und meine Wirbelsäule hat sich auf Gewicht und Position eingegrooved, schreite ich engelsgleich dahin (meist zur Toilette). Die Reaktion, die ich auf solche Aktionen von meinem lieben, mitfühlenden Ehemann, der seit 8 Jahren trotz verschobenen Verhältnis von Nahrungsaufnahme zu Nahrungsverbrennung (zuerst Bauernkind - jetzt Bürosesselfurzer) das gleiche Gewicht hat, ist dann meist folgende: "Ohhh, du bist so...schwanger!"
Auch wenn mir "Oh, du bist so...bewundernswert, weil du deinen Körper dahingibst, um MEINEN Erstgeborenen auszutragen. Du, meine Heldin, ich verdanke dir mein Fleisch und Blut und dafür ehre ich dich" lieber wären, trifft sein Ausspruch doch sehr die gegenwärtige Situation.
Auch mein Vergleich, mich wie ein gestrandeter Walfisch zu fühlen. Naja, der Vergleich hinkt evt. in Anbetracht der Tragik, die diese Tieren ereilt. Sagen wir ein lustiger gestrandeter Wal in einer guten Welt, der sich nur kurz an Land verirrt hat und dann selbstständig wieder ins Wasser gleitet und in die Freiheit taucht...

Torschlusspanik 

Dass ich mich in einer Zeit des total Umbruchs befinde, habe ich inzwischen schon das ein oder andere mal erwähnt. Es ist damit verbunden, dass ich das Gefühl habe, dass die Geburt meines Babys Tag X ist und danach von meinem bisherigen Leben und meiner Identität, meinen Interessen, meinen Hobbies und überhaupt alles was mich ausmacht, nichts, aber auch gar nichts mehr übrigbleibt. So als wäre ich ein Geheimagent, der mit diesem Tag X ein neues Aussehen, einen neuen Reisepass, eine neue Identität bekäme, auf einen anderen Kontinent auswandern müsste und dort komplett von vorne anfangen müsste. Neue Sprache, neue Kultur, neues Leben. Alles was mich ausmacht, liegt hinter mir und ich darf nicht mehr darauf zurückgreifen. In mein Leben übersetzt - nieeeee mehr Zweisamkeit, keine Zeit für Hobbies, Musik, Freunde und Geselligkeit. Nie mehr Urlaub, nie mehr Entspannung, nie mehr arbeiten, nie mehr irgendwas machen, was mir so richtig Spaß macht...Ja so in etwa fühlt sich das bei jemanden an, der in Umbruchsphasen vielleicht ein wenig überreagiert, die Drohungen von frustrierten Eltern zu ernst nimmt und überhaupt die totale Torschlusspanik schiebt.
Gott sei Dank, sagt mir mein Verstand, ruhig und deutlich, während meine Gefühle panisch quiekend im Kreis herumlaufen, dass es nicht ganz so tragisch wird, dass ich immer noch ich bin, wenn ich auch wirklich eine ganz neue Aufgabe bekomme, eine neue Sprache lerne und sich vieler meiner Lebensumstände ändern. Ich bleibe Ich.

Ab-und-weg

Aber einmal, da konnte sich mein panisches, im Kreis laufendes Gefühl mal kurz hinsetzen und verschnaufen, was gar nicht so leicht ist für die kleine Torschlusspanik, das hektische Ding. Im Bereich "Urlaub" und "ab-und-weg-Zeit" mit meinem Mann. Ich war dieses Jahr viele Male in (Kurz-)Urlauben. Ich habe mir einen Lebenstraum erfüllt und bin mit meinem Mann in die Karibik geflogen, habe dabei einen Abstecher in Paris gemacht und drei verschiedene Inseln bereist, ich war mit meinen engsten Freunden in Kroatien, in Holland bei Verwandten und vor einer Woche noch mal richtig schniek Wellnessen. Und wir haben es genossen, so wie es halt möglich ist für einen gestrandeten Walfisch im Bikini. Aber das Essen war fantastisch und das Herumgetütel der Hotelmitarbeiter auch. Schlafen war für mich nicht drin, dafür ein (womöglich) letztes Mal zu zweit im "adults-only-Bereich" mit Dach-Whirlpool und Panorama-Schaukelliegen. Es war toll! Man bekommt sehr viele mitleidig, entzückt und leicht erschreckte (aufgrund des Bauch-Bikini-Schwangerschaftsstreifen-Verhältnis) Blicke zugeworfen und auf Wunsch drei extra Gänge beim 5-gängigen Abendmenü. Ja, in diesem Bereich habe ich das Gefühl, das DAVOR wirklich gut für gemeinsame Reisen und Ausflüge genutzt zu haben. Das Tor kann sich ruhig (zumindest für eine Zeit) schließen und ich stehe winkend und lächelnd davor.

Meine DINKs

In anderen Bereichen läuft sie noch im Kreis, die Panik - ein unbelehrbares Gefühl.
Zum Beispiel beim Thema "Freunde". Wenn die Torschlusspanik an ihre geliebten (kinderlosen) Freunde und die ebenso geliebten gemütlichen Abenden mit ihnen denkt, dann schnappt sie sich die Angst, diese blöde Kuh, und hetzt sie auf und sie laufen gemeinsam panisch Hand in Hand im Kreis herum.
In meinem Freundeskreis, bestehend aus zwei verheirateten Paaren und drei Singles sind wir nun die ersten, die ein Kind bekommen. So wie die Hochzeiten von uns, ist auch dies wieder ein einschneidendes Erlebnis in der Freundschaftsdynamik. Na gut, es hat sich sowieso viel verändert, da jeder (mehr oder weniger fordender) Arbeit nachgeht, umgezogen ist und wir keine OC-California guckenden, in ewigen Sommerferien schwelgenden Jugendliche mehr sind. Emotionale, wie auch geografische Nähe und Distanz haben sich verändert, aber wenn wir uns sehen - so alle zwei bis drei Monate, dann fühlt es sich gut an - so, als müsste das so sein. Und mit dem gemeinsamen Urlaub, den wir dieses Jahr noch hatten, ging für mich ein langjähiger Wunsch in Erfüllung.
Wir haben in unserer kinderlosen Runde oft darüber geredet, wie sehr wir es doch noch genießen, in diesem Status als DINK (double income, no kids) zu verweilen...
Jetzt erleben wir - und es ist sehr gut so - einen Statuswechsel und ich hoffe und nehme mir fest vor, die beiden Welten meiner "Motherhood" und die der "Otherhood" punktuell zu verbinden. Ich brauche meine (kinderlosen) Freunde, ich brauche sie als "Tür zur Außenwelt", ich möchte mich nicht nur über wunde Popos, Kinderkrankheiten und Kinder-Entertainmment vs. Mama-Burnout unterhalten. Ich brauche meine DINKs um mich über die Arbeitswelt zu beklagen, mit ihnen Musik zu machen und über Filme, Musik, Gott und die Welt zu unterhalten. Vor diesem Tor, dass sich scheinbar vor mir schließt, stehe ich noch, während ich hektisch in meinem Kalender mögliche Termine für ein Treffen vor Tag X suche. Doch mein Verstand, in seiner ruhigen, kompetenten Art und Weise und meine beste Freundin beruhigen mich stetig. Beide behaupten es gäbe eine Hintertür. Eine Möglichkeit immer noch "rein" zu kommen, auch wenn sich das bisherige Haupttor geschlossen hat. Man darf sich diese Tür halt nicht verstellen, von beiden Seiten nicht. Der Platz vor der Tür muss doch immer sauber gehalten werden, damit die Tür auch aufgeht. Übrigens gibts diese Hintertüren in mehrfacher Ausgabe. Eine für Freunde, eine für Partnerschaft, eine für Hobbies. Die Stadt "Myra" ist jetzt nicht mehr nur durch ein großes Tor erreichbar, sondern man muss sich schon auf den Weg machen und planen, durch welche Tür man gehen will, man muss sie sich freihalten. Aber sie sind da, jederzeit.

"Na dann", sagte die Torschlusspanik zur Angst, "lass uns ein Weilchen hinsetzen und die Ruhe genießen".

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