Alles hat seine Zeit...Sein und Werden

Alles hat seine Zeit, alles auf dieser Welt hat seine ihm gesetzte Frist: Geboren werden hat seine Zeit wie auch das Sterben. Pflanzen hat seine Zeit wie auch das Ausreißen des Gepflanzten. Töten hat seine Zeit wie auch das Heilen. Niederreißen hat seine Zeit wie auch das Aufbauen.
Weinen hat seine Zeit wie auch das Lachen. Klagen hat seine Zeit wie auch das Tanzen. Steine zerstreuen hat seine Zeit wie auch das Sammeln von Steinen. Umarmen hat seine Zeit wie auch das Loslassen. Suchen hat seine Zeit wie auch das Verlieren. Behalten hat seine Zeit wie auch das Wegwerfen.
Zerreißen hat seine Zeit wie auch das Flicken. Schweigen hat seine Zeit wie auch das Reden.
Lieben hat seine Zeit wie auch das Hassen. Krieg hat seine Zeit wie auch der Frieden. (Prediger 3, 1 - 8, die Bibel)

11. Februar 2015

Wenn der Hulk sich verliebt...

In den letzten 16 Tagen ist soviel passiert und mein Kopf sprudelt über vor tausenden Ideen für neue Blog-Posts, während mich ein kleines, feines Kerlchen meist daran hindert, irgendeinen Gedanken jenseits meiner beschaulichen vier Wände zu fassen. Paradox.
Ich habe mich nun dazu entschieden chronologisch vorzugehen und doch noch mal DAS Geburtserlebnis aufzugreifen...bei den Worten "das Geburtserlebnis" höre ich in meinem inneren Ohr eine tiefe, dramatische mit Hall unterlegte Stimme...Wieso nur?

Wie ich bereits im vorangegangenen Post erwähnt habe, habe ich sie nicht vergessen - die Schmerzen. Ich habe nichts davon vergessen, was ich gefühlt habe, sehr wohl aber, was so alles um mich herum passiert ist. Dafür ist mein Mann zuständig, er hat ein hervorragendes episodisches Gedächtnis und kann mir alle Details dieser einmaligen, krassen, Grenzerfahrung erzählen, die ich aufgrund meines tranceartigen Zustands nich mitbekommen habe.

Ich verstehe auch nicht wieso irgendwelche Extremsportler für ihre Grenzerfahrungen wie das Raufklettern, Besteigen, Herunterspringen, Durchqueren von irgendwas und irgendwo bejubelt werden und eine dicke Schlagzeile oder auch ein fettes Sponsering von Red Bull bekommen. Bei einer Geburt kommt am Ende nur eine SMS mit den Worten "Mutter und Kind sind wohlauf"...
Ja klar sind sie das - in den meisten Fällen - dafür sind ja die Hormone da. Aber was sie DAVOR geleistet haben - pfffff...DAS sollte mal so ein Extremsportler (männlich) erleben! Ich geb zu, das mit dem Sponserin könnte etwas schwierig werden, aufgrund der Häufigkeit und der schwierigen Vermarktung des Ereignisses. Aber mal ehrlich. Ich kanns jetzt noch weniger verstehen, da ich es selber erlebt habe, dass ein Mensch (sorry, da muss ich fast gendern - Menschin) sowas überleben kann. In der einen Minute meint frau sie sehe bald das Licht am anderen Ende des Tunnels und in der anderen strahlt sie vor Glückseligkeit und ist im besten Fall nahezu topfit.
Und dann spricht man - wie in meinem Fall - von einer Traumgeburt.
Was also ist (m)eine "Traumgeburt"?
Ich hatte ab vier Uhr morgens Wehen, so dachte ich zumindest und wie sich herausstellte, waren das auch welche. Um halb neun Uhr morgens hatten wir einen Routine-Kontrolltermin im Krankenhaus. Von dort wurden wir mehr oder weniger wieder nachhause geschickt, da es sich ja doch auch noch um Tage handeln könnte bis es dann wirklich so weit sei.
Zuhause machte ich noch ein Nickerchen, nahm ein Bad und harrte der Wehen, die so alle 15 bis 20 Minuten kamen. Danach so alle 10 - 13 Minuten. Mein Mann führte in seiner Art selbstverständlich schriftlich Protokoll. Plötzlich übersprangen die Wehen die nächsten 5 Minuten, sodass wir zügig in das Auto stiegen, weil die Wehen alle 5 Minuten daherkamen. Inzwischen war ich mir auch aufgrund meiner Lautstärke sicher, dass es sich um echte Wehen handelte...war ja vorher nicht ganz so eindeutig. Mit Verabschiedungskommittee meiner Eltern machten wir uns gegen 18 Uhr auf den Weg ins Krankenhaus, mein Mann blieb die dreiviertelstunden Fahrt wie besprochen ruhig und gelassen, während ich mich lauthals meinen Schmerzen hingab - tja da wusste ich noch nicht, was noch auf mich zukommen würde. Beim Krankenhaus angekommen, war natürlich kein Parkplatz frei, sodass wir den VIP Platz direkt vor der Eingangstür gleich neben den Rauchern einnahmen, die sogleich die Gelegenheit hatten wie einem Zootier durch ein Glasfenster beim "Veratmen" (ha, verjammern, verschreien - aber nieee zu hoch, immer schön tief...) der nächsten Wehe zuzusehen und zu hören. Ein tolles Erlebnis die interessiert, gaffenden, aber doch entspannten Blicke zu sehen, während frau sich denkt "DIE GAAAAANZE WELT MUSS DOCH JEEETZT SCHMEEEERZEN HABEN!!!" Begleitet von gegrinsten Glückwünschen der Passanten hiefte ich meinen enormen, schmerzenden Leib schnaubend aus dem Auto, in den Lift und hinauf zur gynäkologischen Abteilung.
Dort angekommen läuteten wir bei der Kreißsaal-Lobby (Ja, mit automatischer Schiebetür, schicken Empfang, freundlichen Farben und der Aufschrift "der Weg ins neue Leben"). Leider durften wir noch nicht ganz dort einchecken, sondern ich wurde in der "Schwangerenambulanz" noch mal ans CTG angehängt. Nach ein paar Untersuchungen und gefühlten 18h (ja, okay, es war wahrscheinlich nur eine halbe Stunde) sitzenden, jammernden Wartens in Wehen wurde ich sogleich in den Kreißsaal gebracht, weil man mir schlußendlich doch abkaufte, dass es Fröschlein eiliger hatte als gedacht.
Nichts also mit Apfelbäumchen schütteln und Pezzi-Ball Übungen, geschweige denn den tollen Geburtsstein in der eigens eingerichtete Wellness-Wehen(Paradox!!!)-Oase. Es ging gleich ans Eingemachte. In 3h 20min Rekordzeit hab ich alle drei Phasen der Geburt (für weitere Infos bitte frühere Posts zur Erklärung lesen) bravorös gemeistert. So sagte man mir zumindest, hab ja ab Kreißsaal - in schicker Eichen-Optik - nichts mehr mitbekommen außer SCHMEEEEEEEERZEN!!! Es haben ja schon viele versucht das Gefühl der Geburtsschmerzen zu beschreiben, nur tut es halt in Ohren und Hirn nie so weh, wie es wirklich weh tut. Es ist ein Gefühl als...würdest du in Slow-Motion fühlen, wie eine Bombe im Inneren deines Körpers und in sehr sensiblen Körperregionen explodiert und dich bald in tausend Stücke zerreißt...Oh, gerade kommt mir das Bild von Hulk, dem grünen supermuskulösen Monster/Helden...Zum Leidwesen der Hebamme und des Ehemannes entwickelt frau fast übermenschliche Kräfte, um diesem Schmerz endlich ein Ende zu setzen und dafür endlich ihr Baby in den Arm nehmen zu können. Okay, frau kann auch irgendwie nicht wirklich aus - die Natur ist hart zu einem.  Also frau fühlt sich nicht nur wie Hulk, sondern auch wie dessen Hose, die er während der Verwandlung von Mensch in den Hulk noch anhat...na? Vorstellbar? Hulk UND seine Hose also!
Nach der Verwandlung...ähm...den Presswehen steht dann noch eine Metamorphose an. Vom grimmig, aggressiv monströsen, schreienden Hulk in...ein glubschäugiges, dahinschmachtendes, vor Liebe und Güte überflutetes, engelsgleiches Wesen, welchem eine Miniatur ihresgleichen auf den Bauch gelegt wird, dass voll Hingabe und Ehrfurcht geherzt und beobachtet wird. Das Schauspiel wechselt von Blutschlacht voller Geschrei und Schmerz in den harmonischen, samtweichen, pastellfarbenen, mit Debussy's Claire de Lune hinterlegten, vor Wolkenkulissen gespielten zweiten Akt des Bondings - dem sich Verlieben von Mama und Baby, dem sich ganz neu Verlieben in den Vater des Wertvollsten, Schönsten und Kostbarsten auf Erden, deinem eigenen Fleisch und Blut.
Ja, und da lässt sich auch verstehen, wieso bei mir von "Traumgeburt" gesprochen wurde.
Wenn in Büchern von dem idealen Geburts- und Bindungserlebnis geschrieben wird, dann habe ich es erleben dürfen. Die Geburt war eine schmerzvolle Grenzerfahrung, in der mir in meiner Angst und meiner Hilflosigkeit schon mal ein lebensmüder Ausspruch zu meinem Mann ausgerutscht ist, doch sie war keine Trauma. "Mutter und Kind sind wohl auf" war bei uns nicht nur eine Floskel, sondern wir hatten unseren Moment, er war unbeschreiblich.
Über Zwei Stunden lagen wir so da und verliebten uns ineinander. Gegen 2 Uhr nachts hatte ich die Gelegenheit mit meiner fantastischen Hebamme doch noch den krankenhauseigenen Wellnessbereich zu nutzen, während ich von dieser wie in einem Hamam auf einem warmen Stein liegend geduscht wurde!!
Wir hatten das Glück oder ich möchte viel eher sagen den Segen, dass kein Bett in den Zweibettzimmern der Geburtenstation frei war, sodass wir die Nacht im Kreißsaal verbringen durften und die einmalige Gelegenheit hatten, unsere erste Nacht als Familie gemeinsam auf einer ausziehbaren Couch verbringen zu dürfen. Da lagen wir geflasht und überglücklich mit einem in Deckchen und Windeln gepucktes Bündel Glückseligkeit in unserer Mitte...
So gesehen war es wirklich eine Traumgeburt. Wir sind so dankbar und gesegnet, dass alles so gut verlief. Mir tut es im Herzen leid, wenn Mütter von traumatischen Geburtserlebnissen erzählen, denen aufgrund medizinscher Notwendigkeit DER Moment verwehrt blieb.
Der Rest des Krankenhausaufenthaltes verlief genauso harmonisch und reibungslos durch die liebevolle und engagierte Betreuung durch das Pflegepersonal und die Hingabe meines Mannes, der jeden Tag früh morgens zu mir fuhr und uns erst spät abends wieder schweren Herzens verließ.
Mein Mann bekundete mehrmals täglich im Liebestaumel eine Dankeshymne an unser Leben und ließ mich damit auch sehen und verstehen, wie wundervoll und perfekt alles von statten ging.

Eine Traumgeburt also!

Achja, aber eines hätte ich ja schon gerne, wenn schon das Sponsering von Red Bull ausbleibt - ein paar Geschenke nur für Mama Miriam (und ich meine damit keine Schokolade!!! Wir wollen ja wieder an Gewicht verlieren), denn mir wäre schon vorgekommen, dass, so wunderbar und großartig unser Würmchen auch ist, ich doch einiges an Arbeit dafür geleistet hab...Wieder kommen mir diese doofen (nicht persönlich gemeint) Sportler in den Sinn - die bekommen Urkunden, Medaillen, Kohle, Einträge ins Guinessbuch der Rekorde und haufenweise Schlagzeilen und Ehrungen, wenn sie Grenzerfahrungen machen. Und was bekommen wir Mamas? Natürlich außer dem unendlichen Glück eines Kindes - 15 Strampler, Bodies, Hosen und Schühchen, vielleicht mal nen Blumenstrauß...aber wo sind die Schlagzeilen, Lobhudelungen und die Moneten? Wo die Geschenke für Mama? Sie war doch auch ganz, ganz nah an der Schwelle zwischen Schmerz, Wahnsinn und dem Himmel auf Erden...

1 Kommentar:

  1. Unglaublich! Du schreibst mir aus dem Herzen. Meine Tochter ist 2 Monate alt und schläft schon. Zum Glück, weil so hatte ich die Gelegenheit sämtliche deiner Texte zu lesen, oder eher aufzusaugen. Es hat mich oft lächeln lassen, ich erkenne mich in deinen Erlebnissen und Gedanken so oft wieder und bewundere deine Fähigkeit all das so gut in Worte zu verpacken.

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